Randalierende «Partyszene»? Ein echtes Clubber-Herz tickt nicht so

Der «Zug der Liebe» im August 2019. Zehntausende Menschen demonstrieren friedlich für Liebe und Toleranz in den Strassen Berlins zu harten Techno-Bässen. Bild: phb
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Am Wochenende haben mehrere Hundert Personen in Stuttgart randaliert, Geschäfte zerstört und Polizisten angegriffen. Einmal mehr mangelt es Behörden, Politik und Medien an geeignetem Vokabular, um das Geschehene – und in diesem Fall die Täter – korrekt zu benenen und zuzuordnen. Weil Begriffe fehlen und sich die Tat Samstagnacht ereignete, muss es natürlich pauschal «die Partyszene» gewesen sein. Das ist absurd und bringt tatsächliche Raverinnen und Clubber in Verruf. Richtige Clubbers leben nach einer friedlichen und offenen internationalen Grundhaltung.

300 bis 500 Leute haben in der Innenstadt von Stuttgart am Samstag Abend randaliert, Polizisten angegriffen, Schaufenster eingeschlagen und geplündert, nachdem die Polizei einen 17-jährigen wegen Verdachts auf Drogen kontrolliert hatte.

Die Folgen: 19 verletzte Polizisten, zwölf zerstörte Polizeiautos, 40 beschädigte Geschäfte. 24 Personen wurden festgenommen. Zwölf von ihnen besitzen die deutsche Staatsbürgerschaft. Es sind Jugendliche, mehrheitlich männlich, die ein eigenartiges Verständnis von «Feiern» haben.

Nur weil es Samstagnacht war und vermutlich die meisten der Randalierenden Alkohol getrunken haben, hat der Stuttgarter Polizeivizepräsident, Thomas Berger, diesen Mob einfach mal schnell der «Party- und Eventszene» zugeordnet. So, als ob alle Clubbers, Raverinnen oder sonst wie friedlich feiernden Menschen ständig irgendwo randalierten, wenn sie spät nachts aus den Clubs kommen.

Das ist wohl einer dieser Randalierenden aus der «Partyszene». «Zug der Liebe» in Berlin, 2019. Bild: phb

Das zeigt einmal mehr, dass es den Behörden an einem geeigneten Vokabular mangelt, um gegenwärtige Entwicklungen in der Gesellschaft zu beschreiben. Fatal daran: Medien übernehmen diese Sprech- und Schreibweise teilweise unreflektiert. Auch Schweizer Medien haben den Begriff «Partyszene» in grossen Lettern über ihren Artikel zu Stuttgart verwendet.

Mit «Party- und Eventszene» stellen Medien und Behörden feiernde Menschen generell und pauschal als aggressiv, randalierend und potenziell gefährlich dar.

Eines ist sicher. Mit «der Partyszene» hat dieser randalierende Mob bestimmt nichts am Hut. Es sind viel mehr Leute, die eben genau nicht verstanden haben, was Party und Feiern wirklich heisst. Und, es sind vor allem junge Männer, die durch Gewalt ihre Männlichkeit kompensieren müssen. Offensichtlich.

Natürlich kann es überall, wo Alkohol getrunken wird, zu Problemen kommen mit Leuten, die ihre Kontrolle verlieren. Erfahrene Clubberinnen und Raver können in der Regel jedoch mit Konsum von Alkohol und Drogen soweit umgehen, dass sie sicher nicht aggressiv werden, geschweige denn, ganze Strassenabschnitte in Trümmer legen. Und, ganz wichtig. Richtige Clubbers randalieren nicht, den sie sind offen, kommunikativ und freundlich.

Mein Eindruck ist eher, in Stadtvierteln, wo es wirklich gute Underground-Technoclubs gibt, verkehren auch eher anständige Leute. Leute eben, die nicht auf Vandalen und Zerstörung aus sind. Anders wären auch Megaveranstaltungen wie die Streetparade in Zürich oder der «Zug der Liebe» in Berlin, bei denen zehntausende Menschen friedlich feiern, gar nicht möglich. Natürlich kommt es auch bei solchen Events manchmal zu Schlägereien, aber die sind die Ausnahme und werden eher von «Mitläufern» begangen, die das Konzept von Party und Feiern nicht begriffen haben.

Teilnehmerinnen am «Zug der Liebe» Berlin mit Schild. Bild: phb

Rassismus, Antisemitismus, Islamophobie, Homophobie, Misogynie, Sexismus, Adultismus sowie jegliche andere Arten von Diskriminierung passen nicht zu Menschen, die wirklich wissen, wie man feiert.

Richtige Clubbers leben eine internationale Grundhaltung (international attitude) aus Toleranz, Liebe, Akzeptanz, Kollaboration, Community und Kommunikation auf Augenhöhe. Sie leben gewissermassen den «Club Earth» in dem es keine Rolle spielt, wie jemand aussieht (Bodyshaming), woher jemand kommt oder welche Hautfarbe jemand hat. Umso mehr Underground ein Club ist, desto friedlicher und offener sind die Gäste. So zumindest meine persönliche Erfahrung als Clubber mit bald 25 Jahren Erfahrung.

Diskriminierung, Ausgrenzung und Hass aufgrund des Aussehens, der Hautfarbe, der Herkunft oder der sexuellen Orientierung sind einem echten Clubber und einer echten Clubberin unwürdig. 99 Prozent aller Clubbers – aller wahren Clubbers – leben freidliche Werte, gerade weil sie Rassismus, Intoleranz und Ausgrenzung längstens als ein Relikt des 19. Jahrhunderts betrachten.

Echte Clubbers leben dieses Gefühl. Dazu zählen auch die Hunderttausenden Menschen, die derzeit weltweit friedlich gegen Rassismus auf die Strassen gehen. Es sind eben nicht jene, die wie in den USA ganze Strassen und Stadtteile verwüsten und in Flammen stecken.

Wirklich wahre Clubbers findet man überall auf der Welt. Egal ob in Berlin, Zürich, London, New York, Kiew, Mexico City, Daressalam, Durban, Hongkong, Tokyo oder Bangkok. Richtige Clubbers sind respektvoll und leben ein «Miteinander» in der globalen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts.

Behörden und Medien sind überfordert mit aktuellen Entwicklungen

Leute, die randalieren, sind eben keine Clubbers und deshalb dürfen sie auch nicht pauschal als Mitglieder «der Partyszene» in Verbindung/Verruf gebracht werden. Diese Bezeichnung ist absurd. Man würde auch nicht alle Musiker_innen pauschal als Faschisten bezeichnen, nur weil es einige widerliche menschenverachtende Rechtsrockbands gibt. Genau so ein willkürlicher Vergleich passiert in Stuttgart.

Behörden, Politik und Medien, die nach den Ausschreitungen von Stuttgart generell von «Partyszene» sprechen, kennen die Ideale und Werte der globalen Club Culture offensichtlich nicht. Vielleicht sind Behörden und Medien auch ganz einfach überfordert mit den aktuellen Entwicklungen in unseren Gesellschaften.

Das Problem ist wahrscheinlich, dass Politik, Medien und Behörden buchstäblich überaltert sind. In Redaktionen, auf Polizeibüros und in Behörden arbeiten oft Menschen, die keinen blassen Schimmer haben, wie die heutige Feierkultur aussieht.

Sie wissen offensichtlich auch nicht, dass die Feierkultur des 21. Jahrhunderts sehr heterogen ist. Party ist nicht gleich Party. Für den einen ist es Party, wenn er sich fünf Liter Bier in den Rachen leeren kann und dann nicht mehr stehen kann. Das hat mit dem eigentlichen Feiern aber nichts zu tun. Das sind einfach nur Anfänger oder Unverbesserliche.

In Behörden, Medien und Politik arbeiten vielleicht auch viele Leute, die, als sie selber noch jünger waren, nie wirklich gefeiert haben. Aus welchen Gründen auch immer. Club Culture ist für sie eine verborgene Welt, die sie nur mit Drogen, Alkohol, Lärm und – jetzt auch noch – mit Randalen assoziieren.

Diese Leute, die in Stuttgart randaliert haben, werden wahrscheinlich in wirklich guten Technoclubs von den Türstehern abgewiesen, gerade, weil sie eben nicht die Werte wie Toleranz, Liebe und Miteinander pflegen und ausstrahlen. Kein Wunder, staut sich bei solchen Leuten eine Wut an, die sich bei einer Kleinigkeit in Gewalt und Exzess entladen kann. Gerade in einer Zeit, in der es offensichtlich en vouge ist, gegen die Polizei zu sein und «Fuck the Police» zu skandieren.

Die Krawallmacher in Stuttgart sind vielleicht aber auch einfach nur jene ungemütlichen «Feiernden», wie man sie auf Mallorca beim Ballermann antrifft und die nur dann «feiern» können, wenn sie mehr saufen, als sie ertragen. Die «richtigen» Clubbers trifft man eher auf Ibiza neben an.

2 Gedanken zu „Randalierende «Partyszene»? Ein echtes Clubber-Herz tickt nicht so“

  1. Für richtige Party-Menschen gibt es nur Love +Peace. Bin selber DJ, und Respekt und Toleranz zeigen wir ja auch gegenüber den verschiedenen Musikstilen. Allerdings: wären die Drogen endlich legal, müsste die Polizei auch keine Drogenkontrollen mehr machen.

  2. Pingback: Resetter: Best of 2020 – Der Jahresrückblick - RESETTER

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