Aus dem ersten Lockdown wollten alle möglichst rasch wieder heraus. Zurück zur «Normalität». Aufgearbeitet und definiert wurde die «Normalität» aber bis heute nicht. Nun kommt die zweite Corona-Welle. Jetzt dreht sich die Diskussion um Masken im öffentlichen Verkehr. Was das Coronavirus jedoch in der Psyche der Menschen anrichtet, ist praktisch kein Thema. Obwohl Corona eine Gesundheitskrise ist, ist es dabei von Anfang an nie um die Gesundheit der Menschen gegangen, sondern vor allem um die Wirtschaft.
Corona wird die Gesellschaft und die Menschen verändern. Oder besser: Corona hat die Menschen und die Gesellschaft bereits verändert. Corona hat Menschen in die Isolation getrieben, in die Einsamkeit, in die Unsicherheit und in die Depression.
Der erste Lockdown war völlig richtig. Niemand hat Mitte März gewusst, wie sich das Virus entwickeln würde. Niemand konnte ahnen, ob es nödlich von Italien ebenfalls zu solch schlimmen Szenen kommen würde, wie in den Spitälern der Region Mailand.
Leider wurde während des Lockdowns aber immer nur über die Wirtschaft gesprochen, nie über die Menschen. Auch der Bundesrat hat während seinen Dutzenden Medienkonferenzen nie von den Menschen gesprochen, sondern immer nur von der Wirtschaft.
Um den Menschen Sicherheit zu geben, gerade jenen, die ihre Arbeit verloren hatten oder in soziale Isolation gerieten, hätte die Politik finanziell und soziale Sicherheit bieten müssen. Dazu gehörten die sofortige Einführung eines Grundeinkommens sowie Planung und Aus- bzw. Aufbau von längerfristiger Hilfe wie Bildung, familiäre Betreuung, Pflege etc. Stattdessen ging es ständig nur um die Rettung von Fluggesellschaften und angeblichen Arbeitsplätzen, die auf lange Sicht sowieso verloren sind.
Ebenfalls wurde nie ernsthaft über die psychischen Folgen der Krise diskutiert. Was bedeutet Massen-Kurzarbeit? Was bedeutet ein Anstieg der Arbeitslosigkeit in diesem Ausmass für ein Land wie die Schweiz oder Deutschland? Was sollen Menschen in Zeiten von Isolation mit ihrer zusätzlichen Freizeit machen? Etc. Alles fragen, die weder von Politik noch Medien diskutiert wurden. Es ging immer nur um die Wirtschaft.
Was es jetzt endlich braucht, ist eine Art kollektive Psychoanalyse für die Gesellschaft.
Die Universität Basel hat bereits während des Lockdowns Menschen über ihre Psyche befragt. Es war nicht verwunderlich, dass die Krise für viele Menschen psychisch extrem belastend war. Jobverlust, Unsicherheit, Isolation, Einsamkeit, wenig soziale Kontakte.
Nun haben die Basler Forscher um Studienleiter Dominique de Quervain nach dem Lockdown erneut eine Befragung durchgeführt. Das Ergebnis. Auch jetzt, nach den Lockerungen, fühlen sich 40 Prozent der Befragten psychisch gestresst. Erschreckend ist aber noch eine weitere Erkenntnis: Laut Studie haben vor Corona etwa drei Prozent der Menschen an einer Depression gelitten, nun sollen es zwölf Prozent sein. Das ist massiv.
Laut Basler Studie können vor allem über 55-jährige am besten mit der Krise umgehen, weil Menschen ab diesem Alter sich grundsätzlich zufriedener und psychisch stabiler einschätzen als jüngere. Warum auch immer.
Die leidtragenden sind wahrscheinlich aber vor allem jüngere Menschen. Sie müssen mit den sozialen, ökonomischen und ökologischen Folgen der Krise in den kommenden Jahrzehnten leben.
Kulturelle Angebote für jüngere Menschen beispielsweise sind nach wie vor von den Lockdown-Massnahmen betroffen. Nicht stattfindende Musik-Festivals, schliessende Clubs oder ein sich veränderndes Verhalten in Restaurants. Das ist auch eine Art Isolation, für junge Erwachsene in der Entwicklung, kann das gravierende Folgen haben.
Während ältere Menschen unter Isolation in den eigenen vier Wänden leiden, können sich jüngere Menschen nicht mehr im selben Aussmass unbeschwert mit Freunden treffen, so, wie es noch vor der Krise möglich war. Ganz junge Heranwachsende werden diese Pre-Corona-Welt gar nie mehr kennen.
Da wächst nun eine ganze Generation in eine völlig neue Welt. Corona verändert die Art und Weise, wie wir Menschen uns begegnen, Körperkontakte pflegen. Eine Umarmung und körperliche Nähe sind zentral und etwas vom Wichtigsten, gerade auch in der Clubkultur.
Die jungen wachsen jetzt aber in einer Welt mit Abstand und Missrauen auf. Neben den sozialen Einschränkungen lastet auf der jungen Generation auch noch die ökonomische und ökologische Krise.
Obwohl Masken wichtig und richtig sind, ist die Klimaerwärmung nicht einfach weg, nur weil jetzt alle von Maskenpflicht sprechen. Und Vollbeschäftigung wird auch nie mehr zurückkehren, sondern lediglich eine Illusion von Politiker_innen bleiben, die der Vergangenheit nachtrauern. Sie nennen es «Normalität».
Um die Krise für junge Menschen etwas abzufedern, sind nun neue politische Konzepte gefragt. Es braucht ein neues Wirtschaftssystem, das der zunehmenden Arbeitslosikgeit und den ökologischen Krisen gerecht wird.
Anstatt sich diesen Herausforderungen anzunehmen, wird in der Schweiz im Herbst ernsthaft über den Kauf von neuen Kampfflugzeugen abgestimmt. Was hier zu oberst auf der politischen Prioritätenliste steht, müsste eigentlich ganz unten am Schluss stehen, oder gleich ganz von der Liste gestrichen werden. In einer sozialen und ökologisch kaputten Welt braucht es keine Kampfjets. Wer in der Wüste verdurstet, braucht kein Salz.
In der bisherigen Coronakrise ist es eigentlich nie wirklich um die Gesundheit der Menschen gegangen, sondern immer nur um die Wirtschaft. Was aber nützt uns eine «gesunde» Wirtschaft, wenn die Menschen und das Ökosystem krank sind?
Und wie war das nochmals mit dem Applaus für das Pflegepersonal? Ach ja, das ist lange her. Die Wirtschaft läuft ja jetzt wieder.
Apropos Wirtschaft: Die Wirtschaft liegt bereits seit 2008 auf der Intensivstation und hängt am Beatmungsgerät. Corona gibt ihr jetzt den Rest. Wir tun gut daran, nicht das bisherige Sytem zu retten, sondern die Menschen, ihre Zukunft und Perspektiven.
Und es wird Zeit, endlich eine kollektive Psychoanalyse zu machen und das ganze aufzuarbeiten. Das einzige, was wir bis jetzt erreicht haben, ist ein Combeack des Autos wegen Menschen, die sich zu schade sind, eine Maske zu tragen.