Die Schweiz hat bereits mehrmals in den vergangenen Jahren Grossbanken und Airlines finanziell gerettet. Sofort wurden jeweils Milliarden gesprochen. Geht es aber um die Lebens- und Überlebensqualität der Menschen sowie um den Kultur- und Gastrobereich, wird geknausert und von Staatsverschuldung gesprochen. Dies zeigt, dass der Schweizer Bundesrat keine Erfahrung hat wie er in Krisenzeiten auf die Kulturbranche reagieren soll. Es wird zeit, dass sich dies ändert.
«Wir sind von der Schnelligkeit, mit der sich die Krise verschlechtert hat, überrascht worden.» Wer bei diesem Satz an die aktuelle Coronakrise denkt, denkt nicht völlig falsch. Solche oder ähnlichen Sätze haben wir in den vergangenen Wochen öfters von Politikerinnen und Politikern gehört. Alle waren überrascht, dass Corona im Herbst/Winter nun wieder zuschlägt, obwohl doch Virologen und Epidemiologinnen seit dem Frühling vor diesem Szenario gewarnt hatten.
Tatsächlich stammt der Satz: «Wir sind von der Schnelligkeit, mit der sich die Krise verschlechtert hat, überrascht worden», aber aus dem Jahr 2008. Damals am 16. Oktober hat ihn der damalige Bundespräsident Pascal Couchepin in die Mikrofone der Medien gesagt. Couchepin sprach natürlich nicht von Corona, sondern von der Finanzkrise. Fast im gleichen Atemzug kündigte er die «Rettung» der gebeutelten Grossbank UBS an. Mit einem «Bailout» versprach er der UBS sechs Milliarden vom Staat und 54 Milliarden von der Nationalbank.
Damals im Oktober 2008 war die Weltwirtschaft seit Monaten in Schieflage. Von einer «Überraschung» konnte also nicht die Rede sein. Vor allem dann nicht, wenn man wusste, dass die UBS durch ihr Investmentbanking seit Jahren in einen globalen Finanzstrudel hineingezogen werden könnte. Politiker wie Pascal Couchepin hätten sich diesem Risiko also bewusst sein müssen.
Gehandelt hat der Bundesrat aber scheinbar erst ab dem 20. September 2008 als der damalige Finanzminister und UBS-Vertraute Bundesrat Hans-Rudolf Merz in seinem Haus in Herisau mit einem Herzstillstand zusammenbrach. Die schiefe Finanzlage der UBS hat ihn dermassen «überrascht» und war einfach zu viel für ihn.
Und heute? 2020 liegt zum Glück (noch) kein Bundesrat auf der Intensivstation, dafür aber tausende Menschen verteilt in allen Spitälern des Landes. Gehandelt wird aber dennoch nicht. Klar, in den Spitalbetten liegen eben Menschen, und die meisten der Patienten sind auch schon pensioniert, also folglich auch keine Unternehmer.
Das ist genau das Problem. Geht eine Bank pleite, erleidet ein Bundesrat sofort vor Aufregung eine Herzattacke und es werden innert weniger Wochen mehr als 60 Milliarden freigeschaufelt. Sterben hingegen Menschen steigt im besten Fall bei einigen Bundesrät:innen der Puls vor Überforderung, während sie von «Eigenverantwortung» reden.
Milliarden hat es vom Staat bereits beim Swissair-Grounding gegeben. Auch damals im Jahr 2001 wurden relativ rasch Milliarden locker gemacht. Wir können uns also sicher sein. Für sogenannte «systemrelevante» Unternehmen, gibt es vom Staat immer Geld.
Geld für die leidenden Menschen hingegen gibt es aber stets nur spärlich. Menschen sind offensichtlich nicht «systemrelevant». Finanzminister Ueli Maurer jedenfalls «reut jeder Franken», den er aus der Staatskasse für Menschen aufwenden soll.
Das bildlich gesprochen selbe Schicksal der einzelnen Menschen in den Spitälern und den Krematorien erleidet derzeit die gesamte Kultur- und Gastrobranche. Auch sie gilt offensichtlich nicht als systemrelevant. Hier wird dann davon gesprochen, dass «erfolgreiche» Restaurantbetreiber und Künstler schliesslich auch ohne Hilfskredite überleben würden. Wer in den vergangenen Jahre jedoch nicht gut gewirtschaftet habe, gehe halt Pleite. Die Politik nennt es «Strukturwandel», «Konsolidierung» oder einfach Kapitalismus.
Jene Politiker:innen, die sich jetzt Sorgen machen um die Staatsverschuldung und darüber dass künftige Generationen die Schulden tragen müssten, waren die selben die 2001 und 2008 sofort zig Milliarden für gerade mal zwei Unternehmen gesprochen hatten. Jetzt wo es aber nur um zwei, drei oder vier Milliarden geht um dafür damit zig Millionen von Menschen der jetzigen Generation zu retten, reden sie davon, dass sich die Schweiz das nicht leisten könne.
Weshalb der Staat vor allem Unternehmen mit Milliarden rettet und nicht Menschen, hat zwei Gründe. Der erste ist recht simpel. Eine Welt in der Wirtschaftswachstum die oberste Maxime ist, werden Menschen Unternehmen untergeordnet. Der zweite Grund liegt tiefer. Wer Menschen nicht rettet, hat auch nichts übrig für die Kultur oder hat zumindest ihfen tieferen Wert nicht erkannt.
Durch Kultur werden Menschen jedoch erst zu sozialen Wesen. Diese Erkenntnis ist in einer wachstums getriebenen Welt fremd. Genau deshalb haben Regierungen – in diesem Fall der Schweizer Bundesrat – überhaupt keine Erfahrung wie sie in Krisensituationen mit Kunst und Kultur umgehen sollen. Regierungen sind nur erfahren im Umgang mit Rettungen von Banken und Unternehmen. Die Rettung von Kultur ist für die Schweiz eine völlig neue Erfahrung.
Eine Bank rettet keine Menschen. Das Geld können die Menschen im Notfall auch im Sofa einnähen oder im Keller verstecken. Eine Fluggesellschaft rettet auch keine Menschen. Ihre Reise können sie auch mit dem Zug oder dem Schiff antreten, ist in Klimazeiten sowieso empfehlenswerter.
Kultur, Kunst und Clubbing dagegen rettet die Menschen buchstäblich, weil sie dadurch zu glücklicheren sozialen Wesen werden. Miteinander Tanzen, Kunst betrachten, Essen oder bei einem Bier gemeinsam sprechen und sich austauschen bringt die Menschen physisch zusammen. Es ist genau diese physische Nähe, die zurzeit während Corona fehlt. Genau deshalb wäre es verheerend, wenn die Kultur- und Gastrobranche zusammenbrechen würde, nur weil Bundesrät:innen lieber Banken und Airlines retten. Was machen die Menschen nach der Krise, wenn all ihre Lieblings-Cafes, Restaurants; Clubs und Beizen verschwunden sind?