Seit 2015 vergibt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) offiziell die Namen für menschliche Krankheiten. Die Auswahl der Namen ist nicht immer ganz einfach. Vorallem bei Krankheiten die den Ursprung bei Tieren haben, wird durch eine neutrale Bezeichnung das dahinterliegende industrielle Verhältnis zwischen Mensch und Tier oft verschleiert. – Von Philipp Bürkler
US-Präsident Trump nannte Covid-19 lange Zeit «Wuhan-Virus» oder schlicht «Chinese Virus». In seiner Vorstellungswelt war es undenkbar, dass sich ein Virus in den USA verbreitet. Und falls doch, dann muss es ein «Ding aus dem Ausland» sein, das womöglich sogar aus einem Labor enstammt. Wie wir wissen, sind die ersten Fälle von Covid-19 Ende Dezember 2019 tatsächlich in China bekannt geworden. Trumps Beharren auf dem Begriff «chinesisches Virus» hat aber nicht nur politische Entscheidungen blockiert, sondern zeugt auch von seinem nationalistischen Denken und stetigen Bemühen, die Schuld bei anderen zu suchen.
Bereits vor 100 Jahren wurde mit der bewussten Bezeichnung einer Krankheit einen Schuldigen gesucht. Die Rede ist von der Spanischen Grippe. Mit Spanien hatte diese Grippe jedoch überhaupt nichts zu tun, jedenfalls war Spanien nicht das Ursprungsland, wie der Name bis heute vermuten lässt. Im Gegenteil. Das Ursprungsland der Grippe, die damals weltweit einen von drei Menschen infizierte und mit mehr als 50 Millionen Toten mehr Menschenleben kostete als der Erste Weltkrieg, waren die USA.
Die Spanier bezeichneten die Krankheit zuerst nach einem Lied das damals in Madrid in den Bars oft gespielt wurde und sich wie ein Virus rasch verbreitete: «Soldado de Nápoles» – der Soldat von Neapel. Europa war damals im Krieg. Praktisch alle kriegführenden Staaten zensierten ihre Medienberichterstattung. Nicht jedoch Spanien. Der damals relativ neutrale Staat betrieb eine offene Informationspolitik. Während andere Staaten die Anzahl Erkrankter und Toter buchstäblich «totgeschwiegen» hatten – auch in den USA, dem Land mit «Patient Null», war in den Zeitungen nichts darüber zu lesen – berichteten spanische Medien weiterhin ausführlich über die Krankheit. Nachdem der spanische König Alfons XIII. an der Grippe erkrankte, wurde in den übrigen Ländern sofort von der Spanischen Grippe gesprochen. Zusätzlich untermauert wurde Spanien als Ursprung, nachdem der spanische Gesundheitsdirektor Martín Salazar ankündigte, ihm seien keine Infizierten in anderen Ländern bekannt. Das wurde dem Land zum Verhängnis und die Propaganda war perfekt.
Während es Trump nicht gelungen ist, die Bezeichnung «chinesisches Virus» zu etablieren oder sogar international durchzusetzen, ist die Spanische Grippe bis heute Sinnbild für Manipulation und Schuldzuweisung.
Heutzutage sind drei globale Organisationen zuständig für die offiziellen Bezeichnungen von Krankheiten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) und die Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE). Die der WHO angegliederte Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD) vergiebt seit 2015 die offiziellen Namen für menschliche Krankheiten.
Die armen Schweine
Davor waren die Bezeichnungen nicht einheitlich gelöst. Namenlose Krankheiten bekämpfen wurde zunehmend zum Problem. Auch das Internet hat vermehrt dazu beigetragen, dass unterschiedliche und regionale Bezeichnungen in Umlauf gekommen sind. Die potenzielle Gefahr durch subjektive oder sogar rassitische Zuschreibung von Krankheiten auf eine Volksgruppe wollte die WHO 2015 mit neuen Richtlinien ausschliessen. Seither dürfen Krankheiten nicht mehr Regionen oder Ethnien zugeordnet werden.
Wahrscheinlich erinnern sich alle noch an die «Schweinegrippe» im Jahr 2009. Auch deutschsprachige Medien hatten damals diese Bezeichnung übernommen oder verwenden sie bis heute. Anders als bei der Schweineinfluenza, bei der Viren unter Schweinen zirkulieren, wurde die «Schweinegrippe» zwar von Schweinen auf den Menschen übertragen, aber nur von Menschen anschliessend verbreitet. Die falsche Bezeichnung und die Annahme, Schweine seien eine grosse unmittelbare Gefahr für die Menschen, kostete Hunderttausenden Schweinen das Leben, weil verschiedene Regierungen damals die Notschlachtung angeordnet hatten.
Weil das Virus erstmals in Mexiko auftauchte, wurde die «Schweinegrippe» anfänglich von Medien auch «mexikanische Grippe» genannt. Etwas später änderte die WHO die Bezeichnung «Schweinegrippe» offiziell in «H1N1 2009». Das Wort Schwein wurde weggelassen.
Zoonosen und die Beziehung Mensch und Tier
Das Coronavirus hat sich nach neusten Forschungen von einem Tier auf den Menschen übertragen, obwohl seit einigen Stunden die Nachrichtenseiten voll sind mit Meldungen, wonach das Virus aus einem Labor in Wuhan entwichen sein soll. Solche Übertragungen passierten laut WHO in den vergangenen Jahrzehnten immer häufiger, weil der Abstand zwischen Mensch und Tieren zunehmend kleiner wird. Das Vordringen in Ökosysteme und Tierwelten, sowie die zunehmende Industriealisierung der Massentierhaltung, haben dazu beigetragen, dass sogenannte Zoonosen – vom Tier auf den Menschen übertragbare Krankheiten – zugenommen haben. Gerade weil Tiere für die Nahrungsmittelindustrie in Massen «produziert» werden, sind ihre Gene praktisch identisch. Dies macht sie anfällig auf Krankheiten. Covid-19 und andere Zoonosen sind also ein Ergebnis der menschlichen Geringschätzung von Tieren und deren Massenhaltung.
Ähnlich sieht es auch der britische Umweltforscher Robert S. Wallace. Der Evolutionsbiologe geht noch einen Schritt weiter und sagt, die Namensänderungen der WHO hätten nicht nur Vorteile. Bei der Schweinegrippe beispielsweise sei durch das Weglassen der Bezeichnung Schwein der wahre Grund für die Krankheit verschleiert worden. Wallace sieht nämlich die Massentierhaltung als der eigentliche Grund für den Ausbruch, wie er in seinem Buch «Big Farms Make Big Flu» aus dem Jahr 2016 schreibt. Darin hat er vorgeschlagen, die Schweinegrippe, beziehungsweise das H1N1-Virus, müssten deshalb korrekterweise als «NAFTA-Virus» bezeichnet werden.
Durch das 1992 unterzeichnete NAFTA-Freihandelsabkommen wurden die Schutzzölle für Nordamerika angeschafft. Dadurch verdrängten grössere landwirtschaftliche Betriebe die kleineren aus dem Geschäft. Durch NAFTA, so Wallace, seien nicht nur die Landwirtschaftsbetriebe weniger geworden, sondern gleichzeitig habe auch die genetische Vielfalt unter den Schweinen abgenommen. Wallace ist sich sicher, ohne NAFTA hätte es die Schweinegrippe nie gegeben.
Eine Reform der WHO sei deshalb nötig. Gerade bei Zoonosen lenke die WHO durch das Weglassen von Tierbezeichnungen von der industriellen Beziehung zwischen Mensch und Tier ab, erklärt der Brite. Die WHO unteralsse es damit, dringende Reformen in der industriellen Nahrungsmittelproduktion und Tierhaltung anzustossen.
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