Die aktuelle Coronakrise macht überdeutlich: Es ist an der Zeit, gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich, endlich einen «Neustart», einen Reset, zu wagen. Wenn nicht jetzt, wann dann?
Die aktuelle Diskussion darüber, wann der Lockdown beendet und die Wirtschaft wieder hochgefahren werden soll, ist irrsinnig. Sie zeigt, dass für viele Akteure aus Politik und Wirtschaft die wirtschaftlichen Interessen höher gewichtet werden als Menschenleben und die Gesundheit. US-Präsident Trump zeigt mit seiner Gleichgültigkeit seinen Bürgern gegenüber eindrücklich und auf traurige Weise, wie dieses menschenverachtende und nur auf Profit ausgerichtete neoliberale Denken und Handeln aussieht. Die soziale Krise die in den USA durch sein Nichthandeln und seiner Menschenverachtung nun ausgelöst wird ist beispiellos in der jüngeren Geschichte.
Es ist keine Frage. Der Lockdown und der damit verbundene wirtschaftliche Stillstand bedeutet – auch für europäische Staaten – die wohl einschneidendste Phase seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Aber sind diese Massnahmen wie Versammlungs- und Ausgehverbot mit denen schwache, alte und kranke Menschen geschützt werden nicht gerade ein Ausdruck eines starkes Sozialstaates?
Das entscheidende an der aktuellen Coronakrise ist, dass nicht nur vereinzelte Staaten betroffen sind, sondern alle Staaten der Welt. Alle Staaten sind in der Krise. In allen Volkswirtschaften der Erde geht das Wachstum rapide zurück. Es ist also nicht nur für die Menschen eine kollektive Erfahrung, sondern auch auf nationalstaatlicher Ebene. Vielleicht ist es sogar die erste globale kollektive Krise überhaupt.
Der Schweizer Finanzminister Ueli Maurer sagte heute in einem Interview, dass die versprochenen Notkredite in Höhe von 20 Milliarden Schweizer Franken wohl bald aufgebraucht sind. «Wenn es so weitergeht, sind wir in spätestens zehn Tagen ausgeschossen.» Würde der Staat weitere 30 Milliarden für die Stützung der Wirtschaft aufwenden, dauere es «25 Jahre – oder eine Generation – bis wir diesen Betrag wieder abbezahlt haben», so Maurer. Man muss kein Ökonom sein. Aber wenn 20 Milliarden schon nach wenigen Tagen aufgebraucht sind, reichen angesichts der Schwere der aktuellen Krise wohl auch zusätzliche 30 Milliarden nicht aus, um die Wirtschaft zu retten. Kunstproduzenten, Coiffeusen, Taxifahrer und andere Dienstleister die zurzeit keine Aufträge haben, sind noch gar nicht miteinberechnet. Was soll aus diesen Menschen werden?
Anstatt zu diskutieren, wie rasch die Wirtschaft wieder «hochgefahren» und der Lockdown beendet werden soll, sollten wir als Gesellschaft besser darüber diskutieren, wie die Wirtschaft in Zukunft aussehen soll. Eines ist klar. So weitermachen wie bisher können und dürfen wir nicht. Nur weil zurzeit die Coronapandemie die Nachrihchtenseiten dominiert, ist die Klimaerwärmung nicht vom Tisch. Die Klimakrise hat durch Covid-19 lediglich eine – sehr dramatische – neue Dimension bekommen.
Wir sollten also jetzt darüber diskutieren, wie die Wirtschaft nach der Coronapandemie aussehen soll. Das seit 200 Jahren bestimmende kapitalistische System mit seinen vielen sozialen Verlieren und seinen einigen wenigen Gewinnern passt nicht mehr zu einem fortschrittlichen 21. Jahrhundert. Die Umwelt verträgt dieses System auch nicht.
Doch: was sind die Alternativen? Klar ist, das Wirtschaftssystem der Zukunft muss ressourcenschonender sein und mehr Menschen die Teilhabe an einen «guten Leben» ermöglichen. Stichwort Gemeinwohlökonomie oder solidarische Ökonomie. Weiter dürfen in einer künftigen Wirtschaft industrialisierte und hochentwickelte Staaten im Norden ihr Wachstum nicht mehr auf Ressourcen udn Arbeitsleistungen auf südliche Länder abwälzen, falls in diesem neuen System Wachstum überhaupt noch ein Kriterium ist.
Auch wie Menschen in Zukunft finanziell abgesichert sind, ist eine Frage, die im Zusammenhang mit der Coronapandemie dringend gesellschaftlich breit diskutiert werden sollte. Stichwort Grundeinkommen für alle. Eines ist klar, die aCoronakrise produziewrt nicht nurt viel gesundheitliches Leid, sondern entzieht weltweit Millionen Menschen ihrer Existenzgrundlage. Das Coronavirus stellt die Soziale Frage neu. Es ist Zeit, dass wir über die Frage diskutieren.