Ökonomischer Wohlstand in nördlichen Industriestaaten basiert vor allem auf den Leistungen südlicher Länder und der Ausbeutung der dort lebenden Menschen. Ohne den Süden gäbe es keinen Luxus und keine Konsumkultur im Norden. Jetzt, wo die Welt zunehmend chaotischer wird, fühlen sich immer mehr weisse Europäer von den Menschen im Süden «bedroht», weil diese ihnen angeblich «ihren» Wohlstand wegnehmen wollen. Die angebliche Angst vor Wohlstandsverlust ist einer der Gründe für Rassismus, Islamfeindlichkeit und Antisemitismus. Das muss aufhören.
Eigentlich Verhalten wir Menschen uns wie ein gefrässiger Hund. Angenommen man würde ein paar Tage ohne seinen Hund verreisen und ihm das gesamte Futter für die kommenden Tage in seinen Napf geben, würde er nach kurzer Zeit verhungern, weil er das gesamte Futter bereits am ersten Tag auffressen würde. Genau das machen wir Menschen derzeit mit unserem Planeten. Wir verbrauchen die Rohstoffe, die wir und künftige Generationen später noch brauchen, bereits jetzt.
Viel Ressourcen verbrauchen wir für unseren westlichen Lebensstil, der sich vor allem durch Konsum definiert. Die Überflussgesellschaft des europäischen Nordens fusst aber hauptsächlich auf der Ausbeutung südlicher Länder. Europa lässt Billigprodukte im Süden produzieren oder holt sich dort die Rohstoffe. Eine Praxis, die seit Beginn der Sklaverei und der darauf folgenden Kolonialisierung südlicher Staaten bis in die Gegenwart anhält.
Es ist für die meisten Menschen völlig normal, dass Computer immer schneller werden müssen, Kleider und Lebensmittel immer billiger, ungachtet der sozialen oder ökologischen Bedingungen, unter denen sie hergestellt werden. Beispieslweise werden seltene Erden, die für die Herstellung eines Smartphones nötig sind, von Menschen in südlichen Ländern unter miserablen Bedingungen abgebaut. Auch Kleider werden oft in südlichen Ländern von schlechtbezahlten Näherinnen mit langen Arbeitstagen hergestellt, die anschliessend bei uns zu Schleuderpreisen verkauft werden.
Alle wollen von der nördlichen Überflusskultur profitieren
Die Kosten, der Verbrauch natürlicher Ressourcen und die sozialen Folgen werden von Europa in den Süden externalisiert. Um nachhaltiger zu werden, müssen wir unsere Gesellschaft verändern. Weg von der Konsumkultur, hin zu Nachhaltigkeit und Langlebigkeit von Produkten. Suffizenz und Nachhaltigkeit heisst auch, Mässigung und Verzicht. Genau da fängt das Problem an. Mit diesen Veränderungen kommen nicht alle Menschen klar. Nicht wenige sehen darin einen Verlust ihres Wohlstandes sowie eine Bedrohung ihres Lebensstils.
Bei manchem Menschen ist die Verlustangst so gross, dass sie einen Sündenbock suchen. Jemand muss schliesslich für diese Entwicklungen – die sich sich selber nicht erklären können – verantwortlich sein. Verschärft wird dieses Sündenbock-Denken bei Leuten, die die Klimaerwärmung für eine Erfindung halten und deshalb sowieso nicht verstehen, weshalb sich eine Gesellschaft nachhaltiger entwickeln muss.
Ein Sündenbock ist rasch gefunden: Schuld sind Menschen mit dunkler Haurtfarbe, Muslime oder Juden. Menschen, die angeblich «nicht zu unserer Kultur gehören». Die Folge sind Rassismus, Islamfeindlichkeit und Antisemitismus. Verschärft wird dieser Hass und Rassismus dadurch, dass immer mehr Menschen aus dem Süden in den Norden fliehen, um – verständlicherweise – ebenfalls an der nördlichen Konsum- und Überflusskultur teilzuhaben.
Während der Süden über Jahrhunderte den Wohlstand des Nordens ermöglicht hat, ist eben jener Wohlstand Europas letztlich Opfer des eigenen Erfolgs geworden. Diesen «Erfolg», versuchen rechte Kreise mit allen Mitteln (Rassismus und Hass) zu verteidigen.
Das Internet und die Popkultur zelebrieren schliesslich unseren Lebensstil als erstrebenswert, als «normal». Aufstieg und gleiche Privilegien sind – neben regionalen Konflikten und Kriegen – die Hauptgründe für Flucht und Migration. Dass diese Menschen in den Norden kommen, weil sie ein besseres Leben suchen, und nicht, um den Europäern etwas wegzunehmen, begreifen menschenfeindliche Rechte und Rechtsextreme nicht.
Rassitsischer Kommentar ist stellvertretend für diese Denkweise
Deutlich wird das in Kommentaren und Posts auf sozialen Medien, wo Hass und Rassismus alltäglich sind. Stellvertretend hier ein Facebook-Kommentar vom vergangenen Wochenende auf einen NZZ-Artikel, in dem es um die Abhängigkeit der «Geknechteten» von den «Herren» in unserer Gesellschaft geht: Der Artikel stellt zurecht den Status Quo in Frage. Eine Leserin hat darauf tatsächlich folgenden menschenfeindlichen und rassistischen Kommentar vom Stapel gelassen.
Dieser Kommentar ist exemplarisch für das Denken von Menschen, die eben nicht wirklich denken können oder wollen. Leute, die solche Kommentare schreiben, verstehen die Ursachen von Flucht und Ausbeutung eben gerade nicht. Dafür verstehen sie sich umso mehr als weisse «Menschheitselite», die exklusiven Anspruch auf Wohlstand und Überfluss hat.
Natürlich würde sich die Frau selbst wahrscheinlich nicht als Rassistin bezeichnen, obwohl sie Menschen mit dunkler Hautfarbe unterstellt, dass diese nicht erfolgreich sind und deshalb auch keinen Anspruch auf Privilegien haben, gerade weil sie eine dunkle Hautfarbe haben. Deutlich wird das an dieser Stelle:
«Selbstverständlich müssen wir deren Lebensweise akzeptieren und respektieren, aber finanzieren müssen wir diese Leute nicht.»
Handlungsunfähige Politik verstärkt rassitische Tendenzen
Der Ausdruck «Lebensweise» entmenschlicht diese Menschen als primitive Affen, die zwar im Urwald in ihrer Umgebung machen können, was sie wollen, aber doch bitte nicht «bei uns weissen zivilisierten Übermenschen».
Verstärkt wird solcher Hass – gerade in sozialen Medien – zusätzlich, weil die Politik nicht weiss, wie sie auf die zunehmenden Entwicklungen der Globalisierung und den Migrationsbewegungen reagieren soll. Abschottung ist die politische Folge dieses Nichtverstehens. Schnelle und unkomplizierte Lösungen bieten deshalb rechte Parteien wie die AfD oder die SVP. Der implizite und auch explizite Tenor: «Grenzen dicht machen, sonst holt der Afrikaner unser Geld.»
Auch Donald Trump geht es mit seiner Mauer an der mexikanischen Grenzen vor allem um die Angst vor einem möglichen finanziellen und materiellen Abstieg. Trump beansprucht einen exklusiven Lebensstil für reiche US-Bürger wie ihn. Die Möglichkeit, ebenfalls an diesem Reichtum zu partizipieren, soll den Menschen in Mexiko aber verwehrt bleiben.
Kommunikation und Vermittlung wird grosse Herausforderung
Wie die Erodierung der westlichen Konsumkultur als Folge von endlichen Ressourcen und den daraus entstehenden Rassismus in Medien, Politik und Gesellschaft vermittelt werden soll, ist eine der grossen Herausforderungen unserer Zeit. Medien, Politik und Wissenschaft müssen den Menschen klar und verständlich kommunizieren, dass eine suffiziente Gesellschaft und nachhaltiger Konsum zwar zwingend sind, aber nicht zwingend mit einem Einbruch von Wohlstand zusammenhängen. Und noch deutlicher muss kommuniziert werden: Es besteht überhaupt keinen Zusammenhang zwischen den Menschen von «Aussen» und dem Wohlstand im «Innern».
Eine suffizente Gesellschaft versucht lediglich, weniger Ressourcen zu verbrauchen und die ökologischen und sozialen Folgen nicht auf schwächere Staaten zu externalisieren. In Europa lebende Menschen müssen verstehen: Wenn sie jährlich nur noch zwei paar Schuhe kaufen anstatt fünf, zehn oder noch mehr, bricht deshalb nicht ihr Wohlstand in sich zu sammen. Wohlstand definiert sich nicht in erster Linie über Konsum, sondern durch Rechtstaatlichkeit, Demokratie und einem Leben in Sicherheit.
An diesen drei Grundwerten einer Gesellschaft – die für uns selbstverständlich sind – mangelt es den Menschen in südlichen Ländern. Gerade deshalb wollen sie ja zu uns. Genau deshalb ist dieser Kommentar der Frau zynisch, rassistisch und dumm.
Die Antwort ist also: Ja, wir – als reicher Norden und jahrhundertelanger Profiteur südlicher Kulturen – müssen zwingend und unbedingt den Menschen im Süden helfen und ihnen Perspektiven ermöglichen. Perspektiven, damit sie eben nicht gezwungen sind, in den Norden zu emigrieren, sondern in ihren eigenen Ländern ein glückliches Leben führen können.
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