Kommende Woche sind Ostern. Und es gibt tatsächlich Menschen, die fliegen für ein paar Tage nach Mallorca. Einerseits tragen sie so zur Verbreitung des Coronavirus bei, andererseits ist es bedenklich, dass Fluggesellschaften überhaupt ein solches Angebot machen. Auch angesichts der Klimakrise braucht es dringend eine Entschleunigung beim Reisen.
Zugegeben: ich würde auch wieder einmal gerne im glasklar-blauen Wasser auf den Balearen baden und die Sonne auf der Haut spüren. Beispielsweise auf Ibiza am Abend mit hunderten anderen Menschen applaudierend beobachten, wie die Sonne hinter dem Horizont im Meer untergeht.
Aber muss es jetzt an Ostern 2021 sein? Genau jetzt, wo aufgrund von Corona der undenkbar schlechteste Zeitpunkt ist? Wer heute einen Flug ab Zürich mit Swiss Airlines für kommenden Donnerstag nach Mallorca bucht, zahlt für Hin- und Rückflug 172 Euro. Dasselbe von Berlin aus für 186 Euro mit Easy Jet. Dies ist aus verschiedenen Gründen problematisch.
Einerseits verbreiten Ostertouristen, welche von solchen Billigangeboten Gebrauch machen das Coronavirus auf Mallorca, oder bringen es von dort mit nach hause. Unnötig werden so unbeteiligte Menschen im Freundeskreis, der Familie oder bei der Arbeit durch Ansteckung gefährdet. Und unnötig wird so die Coronakrise verlängert.
Problematisch ist eine Osterreise nach Mallorca (oder an ähnliche Orte) auch aus ökologischen Gründen. Die zeit, das Pariser Klimaabkommen zu erreichen, wird immer knappe. Solche Kurztrips sind deshalb nicht mehr verantwortbar. Weshalb fällt es Menschen so schwer, auf eine solche Reise zu verzichten? Gerade dieses Jahr, wo auch noch diese Pandemie wütet. Weshalb müssen Menschen eine solche weite Reise unternehmen, nur um drei vier Tage am Strand zu liegen
Noch vor einem Jahr hatte Bundesrat Alain Berset die Bürgerinnen und Bürger eindringlich davor gewarnt, nicht in den Süden zu fahren. Jetzt, wo die Corona-Situation weit schlimmer ist also an Ostern 2020 scheint zumindest beim Osterstau wieder «Normalität» eingekehrt zu sein. Weitermachen wie bisher.
Das dritte Problem sind Öffentlichkeit und Medien, welche diese Problematiken nicht thematisieren. Dasselbe seit Jahrzehnten in der Schweiz. Osterstau am Gotthard ist etwas völlig Normales. An den Stau haben sich alle gewöhnt. Er gehört einfach dazu. Wer den Sinn hinterfragt, gilt als Spielverderber oder wirtschaftsfeindlich.
Aber um Spielverderberei geht es nicht. Es geht um Kommunikation und Sensibilisierung für die aktuelle Situation mit Corona und der Verantwortung gegenüber dem Planeten in der Zukunft. Diese Verantwortung spielt in der öffentlichen Diskussion praktisch keine Rolle. Angesichts der immer stärker ins Rechtsextreme abdriftenden sogenannten «Coronarebellen», «Mass-Voll-Jugendbewegung» und anderen Querdenkern und Spinnern, wären Diksussionen über eine andere, neue Gesellschaft aus der Perspektive der demokratisch ausgerichteten Politik, Wissenschaft und Medien enorm wichtig.
Ich wage zu behaupten, dass unter den Mallorca-, Tessin- oder anderen Südreisenen über Ostern nicht wenige Covidioten sein dürften. Es sind Menschen mit Menschenverachtung. Leute, die nur sich im Mittelpunkt sehen und über keine oder nur sehr geringe Sensibilität gegenüber anderen Menschen verfügen.
In der öffentlichen debatte fehlt derzeit eine politische soziale Agenda, wie die kommenden Monate und Jahre unserer Gesellschaft gestaltet werden könnten. Weder Regierungen noch Parlamente machen Vorschläge, wie die Welt mit und vor allem nach Corona – auch im Hinblick auf die Klimakrise – aussehen könnte.
Dazu gehört auch die Tatsache, dass es immer noch völlig «normal» ist, dass man an Ostern in den Süden verreist. Mit dem Auto oder mit dem Flugzeug. Gleichzeitig ist es bedenklich, dass es zwar für weniger als 180 Euro ein Flugticket ans Meer gibt, man aber auf der Webseite der SBB keine Auskunft darüber erhält, was ein Bahnticket von Zürich nach Genua oder Barcelona kostet.
Flugreisen sind internationalisiert. Dutzende, wenn nicht Hunderte Webseiten bieten präzise Angaben über Abflugs- und Ankunftszeit oder den (billigsten) Preis von Flügen. Wer aber mit dem Zug oder dem Schiff verreisen will, kann seine Reise nicht von A bis Z auf einer einzigen Website planen. Die SBB beispielsweise gibt die Ticketpreise nur bis zur Schweizer Grenze an. Wer nach Mailand, Paris oder München fahren will, muss an den Ticketschalter. Soviel zum Stichwort «Digitalisierung».
«Die Medien» spielen das Spiel munter mit. Es ist normal, an Ostern in den Süden zu fliegen. Es ist normal, im Sommer zu grillen. Es ist normal, dass jeder ein Auto besitzen soll. Und so weiter und so fort. Können wir uns denn eine andere Welt wirklich nicht vorstellen? Sind wir durch Pornokonsum in unserer Fantasie mittlerweile so abgestumpft, dass wir ausser bs zum Bildschirm nicht weiterdenken können?
Corona wäre der ideale Zeitpunkt, andere Reisemöglichkeiten oder auch andere Lebensentwürfe aufzuzeigen und sie mehrheitsfähig zu machen. Beispielsweise beim Reisen. Wie erwähnt gelten Auto oder Flugzeug als Reiseverkehrsmittel non plus ultra. Geht es um die Themen Schiffsreisen und Tourismus beschreiben die Medien hauptsächlich Kreuzfahrten. So, als ob es ausser Kreuzfahrten keine komerzielle und touristische Schifffahrtsindustrie gibt.
Weshalb betrachten wir das Schiff nicht ebenfalls als gewöhnliches Verkehrsmittel wie ein Flugzeug oder ein Auto? Warum also nach Mallorca fliegen, wenn es doch eigentlich einen Zug nach Barcelona gäbe und von dort ein Schiff nach Mallorca?
Ja, warum eigentlich nicht? Einer der Gründe liegt vielleicht darin, dass die auf Business, Selbstoptimierung und Erfolg getrimmten Menschen des 21. Jahrhunderts nur vier bis fünf Wochen Urlaub haben im Jahr machen dürfen. Maher liegt nicht drin, weil sonst das Wachstumsziel und das Bruttoinlandprodukt gefährdet sind.
Wer viel arbeitet, hat natürlich keine Zeit, lange Reisen auf sich zu nehmen. Dabei wäre gerade die Hin- und Rückfahrt genauso Teil einer Reise, wie der Aufenthalt im Hotel an sich. Bis zur Kommerzialisierung der Zivilluftfahrt ab den Sechzigerjahren waren Hin- und Rückreise immer fester Bestandteil einer Reise. Wir haben heute gemütliches Reisen nur verlernt.
Hätten die Menschen mehr Freizeit/Ferien, hätten sie mehr Zeit, sich im Vergleich zum Flugzeug langsamere und klimafreundlichere Verkehrsmittel wie Schiffe oder Züge zu leisten. Wollen wir in Zukunft das Klima entlasten, brauchen wir wieder eine Entschleunigung beim internationalen Reisen. Warum nicht diesen Sommer damit anfangen?