Wir Menschen produzieren jährlich Güter und Häuser mit einem Gesamtgewicht von 30 Milliarden Tonnen. 2020 dürfte das Gewicht künstlicher und druch Menschenhand erzeugter Produkte erstmals das Gesamtgewicht der natürlichen Biomasse wie Bäume, Tiere und Pflanzen überholen. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Das Zeitalter des Anthropozäns ist definitiv angebrochen.
Ein kleines Gedankenexperiment zu Beginn: Nehmen wir an, wir legen die gesamte Biomasse der Erde – also alle lebenden Menschen, Tiere, Pflanzen, Bäume und Mikroorganismen – auf eine Waage. Das Ergebnis entspräche einem Gesamtgewicht von einer Teratonne. Das ist eine eins mit zwölf Nullen – 1.000.000.000.000 Tonnen. Wir Menschen haben davon etwa einen Anteil von 0.01 Prozent. 90 Prozent entfallen nämlich auf Pflanzen.
Nun legen wir auf die zweite Waagschale alle künstlich hergestellten Objekte wie Häuser, Autos, Kühlschränke, Flugzeuge, Brücken, Computer oder Wolkenkratzer. Die Waage zeigt nun ein Gewicht an von 1.1 Teratonnen, also 1.100.000.000.000 Tonnen. Oder 1.1 Billionen Tonnen. Eine ungeheuerliche Zahl.
Die Waage würde also auf die Seite der künstlich erzeugten Dinge aus Kunststoff, Beton oder Stahl kippen. Gemäss israelischen Forscher:innen markiert 2020 nämlich das Jahr, in dem es auf der Erde erstmals mehr künstliche Masse gibt als Biomasse. Alleine die Menge an Plastik hat eine grössere Masse als alle Landtiere und Meerestiere zusammen.
Gemäss einer in Nature publizierten Studie des israelischen Weizmann-Instituts für Wissenschaft hat sich das Gewicht der Produktion aus Beton, Metall, Kunststoff, Ziegeln oder Asphalt in den vergangenen 120 Jahren alle 20 Jahre verdoppelt. Im Jahr 1900 hat die gesamte künstliche Masse noch lediglich drei Prozent der gesamten Biomasse betragen.
Seit dem Jahr 1900 haben wir Menschen so viele Strassen, Gebäude und Infrastrukturen gebaut, wie noch nie zuvor in unserer Geschichte. Zur deutlichen Zunahme des Gesamtgewichtes haben auch technologische Veränderungen in der Architektur beigetragen. In den 1950er-Jahren wurden beim Bau von Gebäuden Ziegelsteine durch Beton abgelöst und in den 1960er-Jahren kam Asphalt beim Strassenbau zum Einsatz.
In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1960er-Jahre – die als sogenannte «Grosse Beschleunigung» bezeichnet wird, wurden die durch den Krieg zerstörten Städte wieder aufgebaut und riesige Strassenprojekte realisiert. In dieser Zeit wuchs die künstliche Masse jährlich um fünf Prozent.
Und seither expandieren Grosstädte und ein enormer Bauboom hat weltweit eingesetzt. Das fällt alles ganz schön ins Gewicht.
Es wird nicht weniger: In den letzten fünf Jahren hat der Mensch durchschnittlich 30 Gigatonnen (30 Milliarden Tonnen) Material pro Jahr produziert. Oder anders formuliert. Jede Woche produzieren wir Menschen – jeder von uns – Güter die etwa unserem eigenen Körpergewicht entsprechen. Wenn es in diesem Tempo weitergeht, dürfte sich das Gesamtgewicht der künstlich erzeugten Güter, Immobilien und Infrastrukturen im Jahr 2040 bereits auf drei Teratonnen belaufen. Das wäre das Dreifache des heutigen Gewichts von einer Teratonne.
Während die künstliche Masse in den vergangenen Jahren massiv gestiegen ist, hat sich die Biomasse dagegen halbiert. Wenn auch nicht in den vergangenen 120 Jahren, sondern seit der ersten Agrarrevolution vor etwa 12.000 Jahren als die Menschen erstmals Ackerbau betrieben haben. Während die Biomasse heute eine Teratonne wiegt, betrug sie vor der letzten Eiszeit noch etwa zwei Teratonnen.
Um das Gewicht der vom Menschen geschaffenen Materialien abzuschätzen, stützen sich die Wissenschaftler:innen auf die Arbeit des Wiener Instituts für Soziale Ökologie und der Universität für Bodenkultur, die seit Jahren Daten von nationalen Statistikbüros, Industriegruppen und anderen Forschungen auf dem Gebiet der Materialflussanalyse sammeln.
Ein genaues Datum, wann der Tag genau ist, an dem die kpnstliche Masse die Biomasse überwiegt, kann natürlich nicht genannt werden. Dafür sind die Zahlen schlicht zu grosss. Die Forscher:innen können jedoch mit 95-prozentiger Sicherheit sagen, dass die vom Menschen geschaffenen Materialien jene der Natur überwiegen. Es hätte bereits 2017 passieren können, oder auch erst 2024. Aber der Kipppunkt muss in diesen wenigen Jahren liegen.
Neben den Auswirkungen des Menschen auf das Klima sehen die Forscher:innen in ihrer Arbeit zum Gesamtgewicht der künstlichen Masse einen weiteren Beweis darin, dass die Menschheit nun in die neue geologische Ära des Anthropozäns eingetreten ist. Also jene erdgeschichtliche Epoche, in der der Einfluss des Menschen grösser ist auf das Ökosystem, als die Einflüsse der Natur selbst.
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