Resilienz heisst, aus der Krise lernen und die Zukunft zu gestalten

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Seit der Coronakrise reden alle von Resilienz. Was ist das eigentlich? Wer ist resilient? Und was hat das mit der Coronakrise zu tun? Und, warum können nur Menschen resilient sein, nicht aber Maschinen oder künstliche Intelligenzen? Was heisst Resilienz im 21. Jahrhundert? Antworten auf diese Fragen gibt es hier.

Aus psychologischer Sicht sind resiliente Menschen widerstandsfähig, um Krisen zu bewältigen. Aus evolutionärer anthropologischer Sicht ist ein resilienter Mensch jemand, der aus einer Krise oder einem Schock etwas lernt für die Zukunft. Während einer Krise findet bei ihm also eine Veränderung, ein Mindshift, statt.

All jene Menschen und Organisationen die während des Lockdows gefordert haben, möglichst rasch wieder zur «Normalität» zurückzukehren, sind eher weniger resilient, weil sie wahrscheinlich bisher nichts aus der Krise gelernt haben. Diese Menschen sind nicht in der Lage, sich einer neuen Situation anzupassen. Sie wollen möglichst rasch wieder in ihre gewohnte und «sichere» Umgebung, also in den Vorkrisenzustand, zurück.

Resiliente Menschen hingegen schaffen es, die Welt für sich offen zu halten und ihren Standpunkt oder ihre Haltung zu ändern, wenn die bisherige Welt zusammenbricht. Sie gehen in der Regel gestärkt aus einer Krise heraus und verhalten sich anders als zuvor. Resiliente Menschen leben deshalb nicht in ständiger Angst vor einer erneuten Krise oder eines Zusammenbruchs. Der Weg ist das Ziel, ist das Motto solcher Menschen.

Politik und wirtschaft sind oft erfahrungsresistent

Die Coronakrise ist die erste globale Krise, die alle Menschen und Staaten erfasst hat. Sie ist das erste kollektive «Erlebnis» oder Trauma der Menschheit. Alle Menschen wurden an ihre Verletzlichkeit und Verwundbarkeit und an das wirklich wichtige im Leben erinnert. Wichtig sind nicht Stress, Arbeit und steigende Börsenkurse, sondern Ruhe, Natur und eine Arbeitsumgebung wie Home Office, die auch Platz hat für Familie und Freunde.

Was heisst das nun für die aktuelle Krise? Offenbar sind viele Menschen «Erfahrungsresistent» und wollen nach der Krise so weitermachen, wie zuvor. Sie tun so, als ob es die Krise gar nie gegeben hätte. Obwohl sie sehr wahrscheinlich Erfahrung mit Home Office und dem möglichen «neuen» Leben gemacht haben, wollen sie an ihre alten «Erfolge» anknüpfen.

Dazu gehört auch die Politik, die nun Milliarden in die Flugbranche investiert, weil sie unbedingt wieder den Vorkrisenzustand herstellen möchte. Resilient ist das nicht. Spätestens bei der nächsten Krise müssen weitere Milliarden nachgeschossen werden. Ausserdem wird die ökologische Herausforderung hinsichtlich Klimaerwärmung völlig ausgeblendet. Dies ist ein absurder Widerspruch zur Resilienz.

Resilient können nur Menschen sein: Systeme, wie der Kapitalismus oder Organisationen, sind es in der Regel nicht. Das liegt daran, dass der Kapitalismus auf Gewinn und Profit ausgelegt ist. Er hat also ein klares Ziel und ist nicht offen für Veränderungen und Anpassungen nach einer Krise. Ausserdem geht es im Kapitalismus um die Erhaltung des Systems als Ganzes und nicht um die Erhaltung des einzelnen Menschen.

Generativität unterscheidet uns von Maschinen

Die Menschheit ist etwa zwei bis drei Millionen Jahre alt. Der Kapitalismus als System erst etwa 250 Jahre. Der Mensch wird das aktuelle Wirtschaftssystem also überleben. Soviel ist klar. Die Menschen haben Millionen Jahre überdauert, weil sie wissen, dass sie aufeinander angewiesen sind. Systeme, Maschinen oder künstlichen Intelligenzen kennen diese Eigenschaft nicht. Die Zukunftsforschung nennt dieses Phänomen Generativität.

Generativität ist also die kollektive Verantwortung und Fürsorge der Menschen über Generationen hinweg. Seit Jahrtausenden sorgen sich Erwachsene Mütter und Väter um ihre Kinder und die jungen Menschen kümmern sich um die Alten. Nur dank dieser Generativität ist und war der Mensch widerstandsfähig. Das kapitalistische System hingegen sorgt sich nur um jene Menschen, die von ihm profitieren. Das ist nicht resilient.

Genau deshalb ist es wichtig, jetzt nach der Coronakrise und vor der grossen Klimakrise eine resiliente Wirtschaft aufzubauen, die allen Menschen zugute kommt und die nicht gleich einbricht, wenn Menschen einige Wochen weniger konsumieren. Der Aufbau eines solchen neuen «Systems» wird anstrengend und passiert nicht im Schlaf.

Mindshift und Akzeptanz von Komplexität

Als erstes braucht es ein Umdenken und einen Mindshift zu einem neuen Mindset. Grosse Teile von Politik und Wirtschaft befinden sich noch immer im alten Vorkrisen-Mindset und wollen die Krise mit den alten Strategien bewältigen. Das sind meistens Menschen, die nicht mit Komplexität umgehen können, obwohl sie vielleicht selbst meinen, sie könnten es.

Mit Komplexität umgehen heisst nämlich nicht, alles durchschauen und verstehen zu können. Niemand – weder Bundesräte, Staats- und Regierungschefs, Atomphysiker:innen, Journalist:innen noch Berater – hat den Überblick darüber, was auf der Welt passiert und wie die Mechanismen dahinter funktionieren.

Weil niemand weiss, was und warum auf der Welt passiert, sind Verschwörungstheorien derzeit wieder aktuell. Anhänger solcher Theorien halten Komplexität nicht aus und suchen für das Unerklärbare nach unterkomplexen Erklärungen.

Komplexität hinsichtlich Resilienz heisst aber, sich auf andere Menschen in Kollaboration zu beziehen, von ihnen Hilfe zu holen und sich selber einzugestehen, dass man nicht alles durchschauen und wissen kann.

Umgang mit Komplexität bedeutet im 21. Jahrhundert auch eine neue Form der Kommunikation. Es geht also weg vom hierarchisch-deduktiven Top-down-Ansatz, bei dem eine Elite von «Wissenden» zu «Unwissenden» oder «Entscheidern» zu «Ausführenden» kommuniziert, hin zu einem heterarchischen Ansatz, bei dem alle gleichberechtigt sind.

Neue Kommunikationskultur der Gleichberechtigung

Resilienz (individuelle wie organisatorische) baut im 21. Jahrhundert also stark auf Kollaboration und Wissensaustausch auf gleichberechtigter Ebene auf. Manchen Führungseliten, Politiker:innen oder Entscheidungsträgern wird diese neue Form von Kommunikation nicht gefallen, weil sie ihre Autorität untergraben wird. Ja, sie werden buchstäblich unnützlich. Und das ist gut so.

Aber genau das ist wichtig und richtig, wenn wir eine neue Welt bauen wollen. Alte nicht resiliente Gewissheiten und Instanzen müssen durch neue widerstandsfähige und gleichberechtigte ersetzt werden. Nur so können die Herausforderungen der Gegenwart für eine resilientere Zukunft gelingen.


Dieser Artikel ist erstmals am 26. Mai 2020 auf Resetter erschienen.

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