Corona-Esoterik: Das Weltbild vieler Menschen ist erschreckend

In den Augen von Impfgegnern, rechten Verschwörungstheoretikern und Esoterikern sind Masken höchstens ein Akt der Freiheitsberaubung durch den Staat. Bild: phb
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Es ist beängstigend. Auf sozialen Medien posten Menschen zunehmend Verschwörungsmythen und Falschmedlungen zum Coronavirus und auf den Strassen verkündet ein Haufen aus Esoterikern und Rechtsextremen tanzend die angebliche «Virokratie». Desinformation und bewusste Falschmeldungen sowie das kollektive Abfeiern von gegenwissenschaftlichen Weltanschauungen haben seit Ausbruch der Coronakrise ein gefährliches Ausmass angenommen. Schuld sind auch Medienschaffende, die solche Bilder reproduzieren. – Philipp Bürkler

Was ist da los? Diese Frage stelle ich mir in den vergangenen Tagen immer öfters. Was zum Teufel ist da los? In meiner Facebook-Timeline poppen zunehmend rechte und/oder esoterische Verschwörungstheorien und Falschmeldungen auf. Gepostet von Menschen die ich bisher als eher klardenkend und reflektierend wahrgenommen habe. Freunde von mir bestätigen mir die gleiche Feststellung. Auch in ihrem News-Feed dominieren nun Posts mit eindeutig verschwörungstheoretischem Inhalt.

Erschreckend viele Menschen verbreiten Artikel und Videos von rechten Verschwörungsideologen wie Ken Jepsen, outen sich als Impfgegner oder glauben ernsthaft, hinter dem Coronavirus stecke Bill Gates, der angeblich in einem Komplott zuammen mit der Weltgesundheitsorganisation WHO den grossen Plan verfolge, in seinen Impfstoff Chips zu implementieren, damit alle Menschen gechippt würden.

Gerade die zweifelhafte Gruppe von Impfgegnern wird im Internet derzeit immer grösser. Da wird in Videos und Artikeln behauptet, Impfstoffe machten krank und seinen «Betrug», besser sei es, Vitamine oder Enzyme zu schlucken oder eine Wasserfastenkur zu machen. In einer Welt in der ein US-Präsident ernsthaft behauptet, gegen das Coronavirus soll man Infektionsmittel injizieren oder Bleichemittel trinken, glauben die Menschen wie im Mittelalter wieder an Hokuspokus und angebliche Naturheilmittel.

Unsaubere Kommunikation seitens Behörden und Wissenschaft

Verstärkt wird diese Haltung und wissenschaftsfeindliche Einstellung bei immer mehr Menschen wahrscheinlich auch durch die teilweise unsaubere Kommunikation von Virologen und Epidemiologen beim Robert Koch Institut oder dem Bundesamt für Gesundheit. Zuerst hiess es, Masken nützten nichts, später hiess es, sie taugen doch etwas. In einem anderen Fall wurden in der Schweiz falsche statistische Angaben gemacht. Anstatt eines neunjährign Mädchens war es letztendlich eine 109-jährige Frau die an Covid-19 gestorben war.

Solche «Kommunikationspannen» der Wissenschaft sind unschön. Gleichzeitig sind sie in einem sich entwickelnden Prozess auch nichts Aussergewöhnliches. Überdenken, Fallsifizieren und Neuinterpretieren von Erkenntnissen und Fakten sind der eigentliche Kern von Wissenschaft. Neue Erkentnisse können deshalb regelmässig zu einem Strategiewechsel beitragen. Diese Mechanismen der wissenschaftlichen Arbeit sind den für Verschwörungsmythen besonders anfälligen Menschen offenbar nicht bewusst oder sie interpretieren sie sogar als bewusste «Manipulation am Bürger» durch Wissenschaft und Regierung. Das ist verherend.

Neben den Verschwörungsmythen in den sozialen Medien, die sich derzeit weltweit, synchron und oft im selben Wortlaut ausbreiten, ist gleichzeitig noch eine andere Entwicklung besorgniserregend. Eseoterisch-Rechte-Pseudoschwurbler schliessen sich zunehemend auch ausserhalb des virtuellen Raums zusammen. Seit in Deutschland das Demonstrationsrecht im Zuge des Lockdowns gelockert wurde und Versammlungen im öffentlichen Raum wieder erlaubt sind, kommt es vermehrt zu Kundgebungen mit zweifelhaften Menschen und ihren zweifelhaften Forderungen.

Vor anderthalb Wochen beispielsweise demostrierten in Berlin an der sogenannten Hygienedemo rechtsextreme, linke und esoterische Akteure Seite an Seite. Ihre Forderung: Sofortiges Ende des Lockdowns und Schluss mit der «Panikmache» wegen eines Virus, das es angeblich gar nicht gibt.

Und gestern Nachmittag versammelten sich in München offenbar mehrere Hundert Leute zu einer Anti-Corona-Party. Es sind Leute, die ebenfalls an der realen Existenz des Virus zweifeln und verlangen, sofort wieder das gesamte öffentliche Leben hochzufahren. Dabei wurde der Staat auf Transparenten als «Virokratie», also als ein Staat der die Freiheits- und Bürgerrechte angeblich dem Virus unterordnet, diffamiert.

In Stuttgart fand am 2. Mai die «Gründungsversammlung» einer neuen «Partei» mit dem widerspenstigen Namen «Widerstand2020» statt. Der bisher unbekannte Anwalt Ralf Ludwig, «Gründungsmitglied der Partei», zitierte während der Veranstaltung vor einigen Hundert Menschen mehrmals Gandhi und quasselte davon, dass die Regierung angeblich die Freiheitsrechte der Bürger beschneide. Weil die Grundrechte eingeschränkt seien, dürfe er derzeit nicht nach Mallorca fliegen und dort seine Tochter nicht treffen, die mit ihrer Mutter dort lebe.

Die Leute von «Widerstand2020» geben sich auf ihrer Website als fürsorglich, friedlich und behaupten, sie wollten einen «liebevollen» Umgang mit allen Menschen. «Lass uns anders sein, damit sich endlich etwas verändert!», heisst es auf der Website. Der Name, das Design der Website, die kruden Nachrichten auf Facebook sowie die Menschen dahinter, zeigen allerdings ein anderes Bild. Hinter «Widerstand2020» stehen frühere AfD-Politiker_innen, Funktionäre der rechtsextremen NPD, «Pro Chemnitz»-Chef Martin Kohlmann und Pegida-Mitgründerin Kathrin Oertel. Interessant zu diesem Thema ist dieser Twitter-Thread.

Medienberichterstattung über Esoteriker ist kontraproduktiv

Es ist bedenklich und gefährlich, wie derzeit Falschinformationen und Verschwörungsmythen in den sozialen Medien geteilt werden und welche neuen Bewegungen auf den Strassen entstehen. Gerade die Bewegungen auf den Strassen sind sichtbar und werden zu allem Übel auch noch von den Massenmedien weiterverbreitet. Dies mag daran liegen, dass rechte Esofanatiker die ersten waren, die nach den Lockerungen auf die Strasse gegangen sind. Aber warum müssen Medien die Bilder in die Welt tragen?

Fridays for Future scheint völlig aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden zu sei. In der öffentlichen Wahrnehmung sind an ihre Stelle nun rechte und esoterische Spinner getreten. Das ist verherend und sollte auch Journalist_innen und Medienschaffenden zu denken geben.

Warum erhalten diese Leute ein so grosses Medienecho? Angesichts der Pandemie und den Herausforderungen der Klimaerwärmung gibt es wirklich Wichtigeres, um die Zeitungsseiten und Nachrichtensendungen zu füllen. Wie unreflektiert (oder auch unwissend im Bereich neuer Bewegungen) Medienschaffende teilweise sind, zeigte die Tatsache, dass die ARD-Tagesschau Ende April in den Hauptnachrichten um 20 Uhr ausführlich über die rechtsextreme-esoterische Kundgebung am Rosa Luxemburg-Platz in Berlin berichtete.

Gerade weil diese neuen Akteure nicht als idelogisch homogene Gruppe zu deuten sind, braucht es bei Medienschaffenden zusätzliches Wissen und ein neues Vocabular. Die Frage lautet: Wie soll auf Redaktionen mit diesen Themen, der Sprache und der Kommunikationsmittel solcher menschenverachtenden Protestgruppen im öffentlichen Diskurs umgegangen werden?

Warum arbeiten beispielsweise öffentlich-rechtliche Sender, aber auch andere private Sender und Medien, nicht vermehrt mit Recherchenetzwerken und Gruppierungen zusammen, die wirklich etwas von den Themen verstehen? Es ist jetzt wichtiger als jemals zuvor, keine journalistischen Fehler zu machen und vor allem, Fake News und Falschmeldungen zu vermeiden und nicht unnötig Gruppierungen zu puschen, die menschenverachtende Inhalte transportieren.

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