Medien und Corona: Es mangelte an Menschen, die erklären können

Medienkonferenz des Bundesrates vom 8. Mai. Der Bund gibt, die Medien nehmen. Berichterstattung wäherend der Coronakrise. Bild: SRF
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Medien, Bundesrat und Wissenschaft haben es während des Lockdowns versäumt – getrennt voneinander – Wissenschaft zu erklären. Für kommende Krisen brauchen Bund und Medien getrennt voneinander unabhängige Wissenschaftler_innen, die die Krise in einen grösseren Zusammenhang einordnen können. Mit Sinnstiftung und Transparenz gegen Verschwörungstheorien und Mythen. Ausserdem wurde es versäumt, über den Tellerrand etwas grösser in die Zukunft zu denken. Und dann sind da noch die peinlichen Journalisten-Fragen an den Medienkonferenzen. Aber der Reihe nach.

Es war der erste Club des Schweizer Fernsehens während des Lockdowns Mitte März. Aus der Quarantäne zugeschaltet war der Schriftsteller Franz Hohler. Neben einigen interessanten Erklärungen und Literaturtipps für Bücher über Pandemien und die Pest hat er als «Schlusswort» gesagt, vielleicht helfe in dieser schwierigen Zeit «jetzt auch wieder einmal ein Gebet».

Beten hilft? Franz Hohler in der Sendung Club vom 17. März 2020. Bild: SRF

Mir standen ehrlich gesagt die Haare zu Berge, als ich diesen Satz gehört habe. Wir leben eben gerade nicht mehr im Mittelalter, als die Menschen die Pest nicht erklären konnten und ihnen in ihrer Hilflosigkeit ein Gebet zum Herrgott als einzige Option übrig blieb. Im Gegenteil: Mit dem Lockdown brach endgültig das Zeitalter der wissenschaftlichen Erklärung und Einordnung im medialen Kontext an.

Natürlich wurden in praktisch sämtlichen Sondersendungen Wissenschaftler_innen eingeladen. Allerdings oft nur Epidemiologinnen und Virologen, später – als sich eine Wirtschaftskrise abzeichnete – dann auch noch einige Ökonomen. Das war aber zu wenig.

Es fehlten Philosophinnen, Sozialwissenschaftler, Historikerinnen oder Psychologen. Leute, die das Coronavirus nicht nur aus medizinischer Sicht einordnen können, sondern auch aus gesellschaftlicher, sozialpsychologischer und historischer Perspektive. Die Aufgabe wäre es gewesen, die Krise in einen grösseren Zusammenhang zu stellen und so zu erklären, dass sie für die Menschen begfreifbar wird.

Es hätten sich interessante Fragen gestellt. Wie sind Menschen früher mit solchen Krisen umgegangen? Welche Parallelen gibt es zwischen Corona und der Spanischen Grippe? Was heisst Isolation aus psychologischer Sicht? Was heisst Isolation für Menschen, die – im Gegensatz zu einigen Wochen während Corona – jahrelang eingesperrt sind/waren? Gefängnisinsassen, Menschen im Krieg oder die Gesellschaften der Sowjetunion hinter dem Eisernen Vorhang?

Es hätte so viele interessante Fragen und Antorten gegeben. Das Schweizer Fernsehen hätte neben den Sondersendungen am Abend und den Liveübertragungen der bundesrätlichen Medienkonferenzen weitere Sondersendungen machen können. Das einzige, was ausgebaut wurde, war das Kinder- und Schulfernsehen. Das war richtig, aber nicht genug. SRF hätte auch am Abend viel interessantere Inhalte vermitteln können. Das war defintiv eine verpasste Chance.

Mangelhaft war aber auch die Erklärung der epidemiologischen und virologischen Wissenschaft in den Sendungen von SRF sowie in der Berichterstattung sämtlicher Medien. Wissenschaft und Medien haben es versäumt, die wissenschaftlichen Prozesse zu erklären. Wie funktioniert Wissenschaft? Wie funktioniert Peer Review? Was ist das?

Ich bin mir sicher, die meisten Menschen wissen nicht, wie wissenschaftliche Prozesse der Forschung und des Erkenntnisgewinns funktionieren. Corona wäre die ideale Gelegenheit und «Plattform» gewesen, diese Wissenslücke bei vielen Menschen zu schliessen.

Und vor allem: Wissenschaft und Medien hätten zugeben müssen, dass auch Wissenschaftler_innen und Journalist_innen nicht alles wissen. Ja, dass niemand auf der Welt wirklich weiss, was gerade passiert, die Wissenschaft aber daran arbeite und ihre Bestes tue, um den Schaden für die Menschen möglichst gering zu halten.

Gerade weil die Situation neu und in dieser Form noch nie dagewesen und das Virus noch zu wenig erforscht ist, sind abschliessende Urteile schwierig und komplex. Widersprüchlichkeiten und Neuinterpretationen von Wissen sind in der wissenschaftlichen Herangehensweise deshalb völlig «normal» und alltäglich. Diese Mechanismen hätten deutlicher vermittelt werden sollen.

Wissenschaft und Medien hätten deutlich machen müssen, dass sie den Anspruch zur völligen Transparenz mit ihrer Arbeit haben. Wissenschaft UND Medien. Beide hätten hier für völlige Transparenz ihrer Arbeit und Herangehensweise sorgen können. Wie arbeitet Wissenschaft? Wie arbeiten die Medien? Wie entsteht Wissen, das über die Bildschirme flimmert? Hätten sie entsprechend gehandelt, hätten sie auch Verschwörungstheoretikern Wind aus den Segeln nehmen können.

Zumindest grössere Medienhäuser wie SRF müssten für zukünftige ähnliche Ausnahmesituationen auf einen Pool von Wissenschaftler_innen und Wisssenschaftsjournalist_innen zurückgreifen können, die nicht nur fachlich in ihren Disziplinen hervorragend sind, sondern vor allem auch über die Fähigkeit verfügen, komplexe Zusammenhänge verständlich und attraktiv zu vermitteln. Stattdessen wurden immer die selben Leute eingeladen, meistens solche, die nicht gut im Erklären waren oder vor allem polarisierten.

Blick zurück zum Beginn des Lockdowns

Blicken wir kurz zurück: Zu Beginn der Coronakrise, als der Schweizer Bundesrat den Lockdown beschlossen hatte (am 13. März, bzw 16. März), wusste noch niemand – weder Epidemiologen, Virologen noch andere «Experten» – wie sich das Virus und die Infektionszahlen entwickeln würden.

Es war also völlig in Ordnung, dass die Medien – inklusive SRF – zuerst einfach mal berichteten, was der Bundesrat und die Epidemiologen und Virologen empfohlen haben. Es war völlig in Ordnung, dass Medien zum «Sprachrohr» des Bundesrates wurden und «Bleiben Sie zuhause», «Halten Sie Abstand» mantramässig wiederholten.

Aber spätestens nach einer bis zwei Wochen allerdings hätte die Berichterstattung kritischer ausfallen müssen. Die «Staatstreue» blieb jedoch oft bestehen in den Berichterstattungen. Bei manchen Journalistinnen und Journalisten beim Schweizer Fernsehen konnte man es förmlich von ihren Gesichtern ablesen, wie sie in eine regelrechte Euphorie verfielen. «Endlich läuft mal etwas Grösseres, und ich bin voll dabei», so der Eindruck ihrer Haltung.

Medienkonferenz des Bundesrates vom 29. April.

Eher durchschnittlich war auch die Arbeit der Journalistinnen und Journalisten verschiedenster anderer Medienhäuser. An der Medienkonferenz des Bundesrates vom 29. April fragte ein Journalist, ab wann das Besuchsrecht in Spitälern wieder gelockert werde. Die Antwort von Bundesrat Alain Berset: «Wir sind dafür nicht zuständig. Die Kantone müssen entscheiden…..»

Warum weiss das der Journalist nicht? Von einem Journalisten mit Bundeshaus-Akkreditierung kann man erwarten, dass er weiss, ob Bund oder Kantone zuständig sind. Ausserdem ist er einer der wenigen auserwählten «Medienvertreter», die an den Medienkonferenzen teilnehmen konnten und deshalb stellvertretend für andere wichtige Fragen an den Bundesrat hätten stellen können.

An den Dutzenden Medienkonferenzen wurden – mit Verlaub – grösstenteils unwichtige Bullshit-Fragen gestellt. Bereits nach gut einer Woche wurde allenernstens gefragt, ob die Eishockey-WM in der Schweiz nun stattfinde oder nicht. Wen interessierts? Der Journalistin hätte klar sein müssen, dass ein Grossevent im Mai nicht stattfinden wird.

Oft stellten die Journalist_innen auch Fragen an den Bundesrat, die dieser offensichtlich nicht beantworten konnte. Beispielsweise, wie lange der Lockdown noch andauern werde. Nach wenigen Tagen/Wochen seit Beginn des Lockdowns und noch steigenden Zahlen von Erkrankten ist eine solche Frage schlicht unnötig, zumal sie der Bundesrat konsequenterweise nicht beantworten konnte, weil niemand in die Zukunft blicken kann. Sie hätte auch fragen können, wann gibt es in der Schweiz das nächste grössere Erdbeben? Oder wann gewinne ich im Lotto?

Medienkonferenz des Bundesrates vom 8. Mai.

An der Medienkonferenz vom 8. Mai gab es zahlreiche Fragen, deren Antworten eigentlich schon klar waren. Da tauchte einmal die Frage auf, ob ein Wirt den Zutritt eines Gastes verweigern darf, falls der Gast seine persönlichen Daten nicht angeben möchte. Logische und erwartbare Antwort des Bundesrates: Nein, er dürfe dem Gast den Zutritt nicht verweigern. Die Massnahme sei ja freiwillig. Das hätte der Journalist wissen müssen, weil es in der Verordnung steht. Also überflüssige Frage.

Dann einige Minuten später in der gleichen Medienkonferenz. Eine Journalistin stellt erneut die Frage, ob Restaurantgäste ihre Daten freiwillig abgeben können oder ob es Regeln gebe. Auch diese Frage wurde bereits mehrfach beantwortet.

Dann wurde es noch peinlicher: Ein Journalist stellt telefonisch eine Frage an Gesundheitsminister Alain Berset. Der Journalist sagte, er habe gehört, dass am Montag nicht alle Lehrpersonen zurück an ihren Arbeitsplatz kehren würden. «Was sagen Sie als Erziehungsminister?» Berset antwortete darauf: «Ich bin nicht Erziehungsminister.»

Daraufhin fragt der Journalist nach. «Aber Sie können doch etwas sagen, weil Sie in ihrem Departement doch auch für Schulen zuständig sind.» «Nein, ich bin nicht für Schulen zuständig, aber ich kann etwas zur Gesundheit sagen», so Berset sichtlich belustigt. Journalisten, denen es offenbar an den grundlegendsten Kentnissen mangelt, wollen die grossen Fragen stellen. Das ist einfach nur peinlich.

Auch Bundesrat hätte mehr aus der Coronazeit machen können

Versäumnisse gab es aber auch beim Bundesrat selbst. Der Bundesrat hat es an seinen Medienkonferenzen versäumt, die Krise zu erklären und einzuordnen. Ausser den Bundesräten, dem Mediziner Daniel Koch sowie abwechselnden Epidemiologen und Virologen gab es keine Erklärung und Wissenschaftler_innen, die für mehr Transparenz hätten sorgen können.

Ähnlich wie die Medienhäuser bräuchte der Bund bei künftigen Krisen ebenfalls einen Pool an Wissenschaftler_innen aus verschiedensten Disziplinen. Gerade das Erklären von sozialen Zusammenhängen ist – neben den medizinischen – enorm wichtig für das Verständnis und die Legitimation von Massnahmen und Verordnungen. Es wäre auch spannend zu sehen, was die «Experten» des Bundes im Gegensatz zu den Wissenschaftler_innen in den Medien sagen würden. Es gäbe also sogar eine grössere Meinungsvielfalt.

Und zu guter Letzt: Die Krise wäre nicht nur eine Sternstunde für Regierung, Politik , Medien und Wissenschaft gewesen, um zu erklären. Die Coronazeit hätte auch genutzt werden können, um über die Zukunft der Schweiz und der Welt nachzudenken.

Warum hat beispielsweise der Bundesrat nicht einmal erwähnt, dass jetzt die ideale Gelegenheit sei, sich über die «Schweiz 2050» Gedanken zu machen. Etwa so: «Bleiben Sie zuhause und nutzen Sie die Zeit für ihre Familie und Hobbys. Und machen Sie sich Gedanken über das Zusammenleben in unserem Land für die kommenden Jahrzehnte. Sobald die Coronakrise vorüber ist, werden wir Ihre Ideen diskutieren.»

Diesen Satz gab es leider nicht. Die Coronapause hätte so vieles möglich machen können. Medien, Bundesrat und Politik hätten getrennt voneinander diese Chance nur erkennen müssen. Haben sie aber leider nicht.

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