Interview: «Sinkender Öl- und Benzinpreis bedroht den Klimaschutz»

Seit Januar 2020 ist der CO2-Grenzwert für neue Personenwagen von 130 Gramm pro Kilometer in der Schweiz und der EU auf neu 95 Gramm verschärft. Wegen der Coronakrise soll dieser Grenzwert nun aber gelockert werden. Bild: phb
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Klimaschutz hat es schwer in Zeiten der Coronakrise. Die politischen Prioritäten haben sich über Nacht geändert. Die Bemühungen für einen geringeren CO2-Ausstoss könnten wegen der sinkenden Öl- und Benzinpreise sogar gefährdet werden, sagt Klimaexperte Georg Klingler von Greenpeace Schweiz im Interview.  – Von Philipp Bürkler

Resetter: Die Themen Klimaschutz und Klimaerwärmung sind seit rund drei Wochen praktisch völlig aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Verständlicherweise gibt es derzeit nur ein Thema: das Coronavrius. Liegt Klimaschutz vorerst auf Eis?

Georg Klingler: Die Klimabewegung ist durch die Coronakrise nicht zum erliegen gekommen, im Gegenteil. Sie hat sich neu organisiert und neue Schwerpunkte gesetzt. Klimaschützer und Freiwillige sind in den lokalen Netzwerken sehr aktiv und engagieren sich für eine lebenswerte Zukunft nach der Coronakrise.

Fridays for Future kann derzeit nicht auf die Strassen. Der amerikanische Aktivist und Historiker Mike Davis hat im Zusammenhang mit Coronaprotesten für bessere Arbeitsbedingungen des US-Pflegepersonals im Guardian vorgeschlagen, die Menschen sollen trotz Corona mit Transparenten auf die Strasse. Er glaubt, wenn tausende Menschen mit einem Abstand von zwei Metern ihre Pappschilder hochhielten, würde das ein «dramatisches Bild» in den Medien erzeugen. Vorerst protestiert er mit seinem Transparent an einer Strassenecke alleine. Kreativität ist also gefragt, um Protest – egal für welches Anliegen – sichtbar zu machen.

In dieser Krise zeigt sich gut, mit welchen kreativen Lösungen Menschen ihre Meinung kundtun – online, auf ihrem Balkon oder eben alleine an der Strassenecke mit einem Plakat. Greenpeace ist Protest erprobt und nicht verlegen, mit neuen Wegen mehr Klimaschutz zu fordern. Wenn das physisch nicht mehr geht, setzen wir eben verstärkt auf Online-Mobilisierung, beispielsweise mit einer Petition für einen grünen Wiederaufbau der Wirtschaft nach der Coronakrise. Auch öffentliche Plätze, die sonst von vielen Menschen genutzt werden, können in dieser leeren Zeit mit Botschaften besetzt werden. Wir beamen beispielsweise Hologramme von Protestierenden im öffentlichem Raum. Weiter gibt es Bemühungen für Rettungsaktionen, beispielsweise von Setzlingen, die einzelne AktivistInnen dann im öffentlichen Raum pflanzen können. Die Sicherheit steht da natürlich immer im Vordergrund, wie auch die Frage, ob die Öffentlichkeit schon bereit ist, solche Aktionsformen positiv aufzunehmen.

Der Bund gibt derzeit Milliardenkredite für Unternehmen. Warum knüpft er diese nicht an klimapolitische Bedingungen? Weshalb wird Klimaschutz jetzt noch nicht mitgedacht?

Dass das Klima jetzt noch nicht mitgedacht wird, hat sicherlich mehrere Gründe: Einerseits geht es darum, direkt und unkompliziert Notsituationen zu lindern, beispielsweise über Lohnfortzahlungen, damit Existenzen gesichert sind. Hier sehen wir, dass es richtig ist, keine aufwändigen Bedingungen daran zu knüpfen. Bezeichnend ist hier auch, dass der Grossteil des Rettungspaketes von den Banken mit aufgestellt wurde – sie bringen den Klimaschutz aber sicher nicht auf die Agenda. Aus unserer Sicht, haben die Grossbanken den Klimaschutz zu lange verschlafen, was für sie in der Coronakrise zum Bumerang werden könnte, weil ihre Kredite für das schnelle und risikoreiche Öl-, Kohle- und Gasgeschäft wegen den sinkenden Preisen ausfallen könnte. 

Fragen wirft auch die bereits diskutierte Finanzhilfe für die Fluggesellschaft Swiss auf. In diesem Zusammenhang wäre Klimaschutz wohl naheliegend. Warum spielt das Klima in dieser Diskussion keine Rolle?

Dass Klimaüberlegungen bei der Rettung von klimaintensiven Unternehmen wie der Swiss keine Rolle spielen, lässt sich wahrscheinlich damit erklären, dass die verantwortlichen bürgerlichen Bundesräte Parmelin und Maurer kein Interesse daran haben und auch noch nie wirklich hatten. Sie kommen von einer Partei, die den Kimaschutz von Grund auf torpediert und jeglichen Fortschritt in diesem Bereich aktiv bekämpft.

Kredite und Finanzhilfen müssten aber spätestens bei Konjunkturprogrammen, die wahrscheinlich noch folgen werden, an klimapolitische Bedingungen geknüpft werden. Derzeit sind beim Bundesrat Klimaschutz und Coronakrise offensichtlich kein Thema.

Offiziell hat der Bundesrat noch keine Massnahmen zum Wiederaufbau der Wirtschaft nach der Krise diskutiert. Das wird in anderen Ländern viel aktiver gemacht und teilweise auch von konservativer Seite aktiv vorgeschlagen, wie es der türkische Wirtschaftswissenschaftler Fatih Birol von der IEA (Internationale Energieagentur) kürzlich beschrieben hat. Die Schweiz, scheint bezüglich Klimaschutz immer noch in einer politisch-ideologischen Blockade zu verharren. 

Wie kann der Bundesrat zur Handlung motiviert werden?

Um die langfristmassnahmen zu einem breiteren Thema zu machen, haben wir unter anderem mit unserer Petition schon früh damit begonnen, Stimmen für kllimafreundlche COVID-Milliarden zu sammeln. 

Das ist also die Forderung nach einem Schweizer Green New Deal. Aber könnte die aktuelle Wirtschaftskrise nicht sogar kontraproduktiv sein für Investitionen in umweltschonende Technologien?

Es ist in der Tat sehr wichtig, dass man genau hinschaut, vor allem, weil der Preis für fossile Energien momentan in den Keller sinkt. Aber auch, weil viele Unternehmen jetzt unter dem Vorwand der zu hohen Kosten gegen Umweltauflagen lobbyieren. Ein Beispiel dafür ist die «Auto Schweiz», die Vereinigung der offiziellen Schweizer Autoimporteure. Diese plädiert in einer Medienmitteilung dafür, dass die Einhaltung der Flottengrenzwerte ausgesetzt wird. Das klingt wie ein Witz. Die Branche leidet, weil sie die Umstellung auf Elektrofahrzeuge verschlafen hat.

Der sinkende Ölpreis ist also ein harter Schlag für den Klimaschutz?

Er könnte sämtliche Bemühungen für mehr Effizienz und erneuerbare Energien zunichte machen. Deshalb braucht es jetzt vorausschauendes Handlen für den ökologischen Umbau, das dafür sorgt, dass wir eine krisenresistentere Wirtschaft haben und für einen künftigen Ernstfall gewappnet sind.

Das Coronavirus hat Klimaschutz fast vollständig aus dem medialen Fokus verdrängt. Wie war das vor der Krise? Wie nehmen Sie als Umweltschutzorganisation den medialen Diskurs zu Klimathemen wahr?

Die Berichterstattung über Klima-Angelegenheiten, war aus unserer Sicht auch vor Corona noch deutlich zu schwach. Wir hatten zwar eine leichte Zunahme beobachtet, die Klimaberichterstattung bleibt aber oft isoliert vom übrigen täglichen Geschehen. Deshalb entfaltet sich wenig Nachdenken darüber, dass es massive Veränderungen unserer Gesellschaft braucht, um die Klimakrise zu lösen.

Gibt es ein Beispiel, das stellvertretend ist für diesen Mangel an Reflexion?

Es kommt vor, dass in der gleichen Radiosendung über schockierende neue Forschungsergebnisse berichtet wird, die zeigen, dass die aktuelle Entwicklung schlimmer ist als es die Modelle der Wissenschaft prognostizierten – zum Beispiel, dass die Antarktis deutlich schneller schmilzt – und wenige Minuten später wird in der gleichen Sendung darüber diskutiert, wie dem Erlahmen der Wirtschaft entgegnet werden kann und der/die Experte/in verliert kein Wort zum Thema Klima.

Georg Klingler ist Klimaexperte bei Greenpeace Schweiz. Bild: Greenpeace

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