Wird sich die Welt jetzt ändern? Oder bleibt alles beim Alten?

Architektur versuchte schon immer Zukunft zu definieren. Im Bild das Telecom Center in Odaiba, Tokyo. Bild phb
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Die meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler blicken derzeit positiv in die Zukunft. Pessimistische Stimmen sind eher selten. Gleichzeitig dürfen wir nicht auf künftige Technologien hoffen und denken, dass ohne etwas zu tun alles gut wird. Die Zukunft beginnt jetzt mit der Umgestaltung der Gegenwart. – Von Philipp Bürkler

Obwohl wir weder mit dem DeLorean aus «Back to the Future» noch mit Stewies Zeitmaschine aus «Family Guy» in die Zukunft reisen können, interessiert uns alle, wie die Zukunft wohl wird. Die wissenschaftliche Disziplin der Future Studies erlebt derzeit einen Boom. Zukunftsforschung ist immer auch Trend- und Gegenwartsforschung. Aufgrund des heutigen Zustands der Welt können Prognosen für eine mögliche Zukunft erstellt werden.

Anders gesagt: Die Gestaltung der Gegenwart hat – logischerweise – einen sehr grossen Einfluss auf die Zukunft. Optimismus ist angebracht, wenn wir die Zukunft jetzt (um)gestalten, Pessimismus, wenn wir nichts tun und sagen, wir können ja sowieso nichts ändern.

Die meisten Zukunftsforscher sind sehr optimistisch. Matthias Horx vom Münchner Zukunftsinstitut glaubt beispielsweise, wir befinden uns derzeit in einer Bifurkation. Das sei eine Tiefenkrise und «die Welt as we know it löst sich gerade auf.» Ausserdem sieht er den «Technik-Hype» am Ende. Vor der Krise sei Technologie das Allheilmittel gewesen, Träger aller Utopien. Und jetzt? «Kein Mensch – oder nur noch wenige Hartgesottene – glauben heute noch an die grosse digitale Erlösung.»

Dabei stellt sich die Frage, welche Technologien er meint? Die intensive Nutzung virtueller Kommunikationstechnologien wie Skype oder Zoom zeigt aktuell gerade in die Gegenrichtung. Wenn er damit allerdings Technologien meint, die unsere körperliche Leistung optimieren (Fitness Tracker), uns ökonomisch quantifizieren (Datensammlungen von Facebook etc.) oder überwachen (weil unser Smartphone immer die Lokalisierung unseres Standorts ermöglicht), wäre eine Abkehr von Technologie tatsächlich ein Fortschritt für die Menschen.

Technologie löst die künftigen Probleme nicht

Noch im vergangenen September hat Bundeskanzlerin Merkel an der UN-Klimakonferenz in New York Greta Thunbergs Rede vom Vortag kritisiert, weil aus ihrer «Sicht nicht ausreichend zum Ausdruck kam, in welcher Weise Technologie, Innovation gerade im Energiebereich, aber auch im Energieeinsparbereich uns Möglichkeiten eröffnet, die Ziele zu erreichen. (…) Ich messe Innovation und Technologie eine sehr grosse Bedeutung bei», so Merkel damals.

Wenn die Politik von der Technikgläubigkeit wegkommt, Technologie und Innovation wüden dereinst die Klimaerwärmung bremsen oder sogar auflösen, wäre das tatsächlich eine grossartige Einsicht. Ein Abwarten bis eine Technologie erfunden wird, die unsere Probleme vielleicht löst, ist nämlich nicht nur blauäugig, sondern signalisiert auch Verantwortungslosigkeit. Sofortige Massnahmen zur Lösung des Problems werden in die Zukunft – auf die kommende Generation – verschoben mit dem Hinweis, Technik wird es dann schon richten.

Eintritt in die digitale Gesellschaft

Interessant sind im technologischen Zusammenhang die Aussagen des Medientheoretikers Peter Weibel vom ZKM Karlsruhe. Er bringt den naheliegenden Zusammenhang des «viralen» und dem realen Virus zusammen. In sozialen Medien gingen Nachrichten viral und funktionierten wie Echoräume, «die den realen Virus noch extrem steigern», so Weibel. Wir wüssten deshalb nicht genau, was wir tatsächlich erlebten und ob es noch schlimmer oder doch weiniger schlimm werde.

Während Horx vom Ende des Technik-Hypes schreibt, geht Weibel davon aus, dass wir Technologie für die Kommunikation ab jetzt endgültig und tatsächlich in unserem Alltag integrieren werden. Die Welt steht für ihn momentan an einem Wendepunkt vom Physischen hin zum Nichtphysischen. «Das Virus zwingt uns, die Kultur, endlich nach Jahrzehnten in die digitale Gesellschaft einzutreten.»

Während im Maschinenzeitalter des 19. Jahrhunderts erstmals der (physische) Bote getrennt von der (imateriellen) Botschaft – durch Telegraphie und erste Telefone – getrennt worden sei, beschleunige das Virus die Loslösung der Botschaft vom Körper. Weibel nennt es den Übergang von der Nah-Gesellschaft in die Fern-Gesellschaft. Obwohl wir die körperlose Übermittlung von Nachrichten via Fernshen und Radio zwar längstens kennen würden, «werden wir (jetzt) gezwungen, zum ersten Mal in diese Fern-Gesellschaft endlich einzutreten».

Positives Denken als «Verdummung»?

Während Weibel und Horx an eine positive Veränderungen glauben, ist der emeritierte Kunstprofessor Bazon Brock, «Denker im Dienst und Künstler ohne Werk» an der Bergischen Universität Wuppertal, ziemlich pessimistisch. In einem Radioniterview mit dem Deutschlandfunk sagte er kürzlich: Alle die positiv in die Zukunft blickten seien «dumm» oder betrieben «Augenwischerei».

Diese «Verdummung» sieht er im Verlaufe der Geschichte begründet. Die Menschheit habe schliesslich noch nie aus der Geschichte gelernt, so seine Feststellung. «Es wurden nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs die Uno und die Unesco eingerichtet. Haben sie was bewirkt? Nein. Gab es weniger Kriege? Nein, im Gegenteil. Es gab latent über die Zeit jeweils 40 Kriege, die in der Welt stattgefunden haben. Hat man aus der Bankenkrise 2008/09 irgendwas gelernt? Nein. 2010 ging die Spekulationswelle, das Hasardeurspiel der Banken in noch viel extremerer Weise weiter», erklärte der vielredende Professor.

Er mag recht damit haben, dass Menschen in der Vergangenheit tatsächlich nicht viel aus der Geschichte gelernt haben. Die Situationen waren bisher aber völlig andere. Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte Aufbruchstimmung und der Glaube an Fortschritt dominierte, welcher in ein noch nie dagewesenes Wirtschaftswachstum mündete. Die Menschen wollten den Krieg vergessen und die Jahre des Verzichts und Leids hinter sich lassen. Es war eine retrospektive Verarbeitung mit einer völlig anderen Perspektive Richtung Zukunft. Ein Zusammenbruch des Ökosystems war damals kein Thema.

Diese Tatsache stellt unsere Zukunft vor eine völlige neue Dimension. Die aktuelle Krise ist anders. Sie zeigt uns die Verletzlichkeit der Welt, der Ökosysteme und des Wirtschaftssystems. Ausserdem denken (jüngere) Menschen heute anders und realistischer über den Zustand der Welt als vielleicht noch die Menschen vergangener Generationen. Prospektiv wissen wir, dass uns die Klimakatastrophe droht. Diese Bedrohung ist in der Menschheitsgeschichte erstmalig.

DIY-Kultur wird zur Selbstverständlichkeit

Eine pessimistische Haltung einnehmen und sagen, es werde sich nichts ändern, ist zu einfach. Natürlich wird sich nichts ändern, wenn alle passiv bleiben und nichts tun. Von alleine passiert nichts. Es geht doch vor allem um die Frage, welche Veränderung wollen wir denn überhaupt? Mit welchen Mitteln und Massnahmen können wir die Welt so verändern, dass sie für alle Menschen lebenswert ist und gleichzeitig die Ökosysteme nicht kollabieren? Darüber hat der Professor leider kein Wort verloren.

Konstruktiver ist dagegen die Sicht der Nachhaltigkeits-Expertin Meike Gebhard. Nachhaltigkeit und ein Umdenken – eben ein bewusst herbeigeführter Wandel – sei im Trend unumkehrbar. «Gerade den Jungen ist sehr bewusst, dass die Klimakrise mindestens so gravierend für sie sein wird, wie die Coronakrise heute.» Gebhard ist sich bewusst, dass die heutige Generation umdenkt und die Zukunft aktiv gestaltet und sie nicht passiv pessimistisch als unveränderbar betrachtet.

Die aktuelle Krise verändere nicht nur das Denken und das Bewusstsein für Nachhaltigkeit und Wandel, sondern ermögliche den Menschen zurzeit auch die Aneignung neuer Skills in Richtung DIY-Gesellschaft. Selbermachen, Reaparieren und Pflegen von Dingen ist angesagt. «Die Menschen kochen mehr, lesen mehr. Der Trend zu Do-it-Yourself, wird durch Corona nochmals beschleunigt und uns erhalten bleiben.» Auch Gebhard geht wie Weibel davon aus, dass das «Zwangs-Home-Office» die Digitalisierung beschleunigen werde und sich unsere Arbeitsweisen verändern.

Letztendlich ist es völlig egal, welche Haltung ein grauhaariger Kunstprofessor zur Zukunft hat. Solange wir nicht über künftige Lebensinhalte sprechen, beruflich wie privat, institutionell wie wirtschaftlich, wird sich vielleicht tatsächlich nicht viel ändern. Die Zukunft ist offen. Sie muss jetzt nur gestaltet und neu gedacht werden. Je mehr Menschen sich an dieser Diskussion beteiligen und sich aktiv einschalten, desto besser.

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