Mangelndes Unrechtbewusstsein braucht keine Öffentlichkeit

Eine fragwürdige Berichterstattung mit einer fragwürdigen Relevanz. Der Blick «live» bei der Wirtin, deren Restaurant nach wenigen Stunden geschlossen wurde.
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Immer mehr Menschen, so scheint es, begehen wissentlich illegale Handlungen. Von Maskenverweiger:innen bis zu Restaurantbesitzer:innen, die trotz Verbot ihren Betrieb öffnen. Gleichzeitig sind es oft Medien, die diese Entwicklung massiv fördern, in dem sie über jede noch so verirrte «Querdenker»-Telegram-Gruppe berichten, in denen zu angeblichem «zivilen Ungehorsam» aufgerufen wird. Das muss aufhören.

Merke: Willst du 2021 Medienaufmerksamkeit, dann gründe eine Telegram-Gruppe. Schreibe wirres Zeugs hinein oder rufe zu illegalen Aktionen auf. Fertig! Die Reporter stehen garantiert Schlange vor deiner Tür. So passiert ist es mit den Betreibern der Schweizer Telegram-Gruppe «Wir machen auf», in der einige Restaurantbetreiber angekündigt hatten, ihre Lokale heute Montag trotz Corona-Verbot zu öffnen.

Verschiedene Medien haben sich sofort auf die Telegram-Gruppe gestürzt und über die illegale Aktion berichtet. Der Begriff «illegal» tauchte meist in den Artikeln gar nicht erst auf. Das St. Galler Tagblatt beispielsweise sprach in der Headline sogar von einer «Revolution», welche die Gastro-Szene angeblich plane. Wer gegen das Gesetz verstösst, sich nicht solidarisch verhält und sogar die Gefährdung von Menschenleben in Kauf nimmt, ist jetzt also Revolutionär? Interessant.

Das Schweizer Boulevardblatt «Blick» hat heute sogar ein Kamerateam für eine Live-Berichterstattung in eines der Lokale geschickt. Dabei war auch «20 Minuten». Die Wirtin des Lokals heulte daraufhin in die Kameras und wunderte sich, dass die Polizei ihr Restaurant geräumt und die Gäste rausgeworfen hatte. Welch Überraschung?

Im Gespräch mit den beiden Reportern redet sie davon, dass sich die Aktion dennoch gelohnt habe. «Unsere Branche hatte noch nie eine solche Medienaufmerksamkeit.» Eventuell würde jetzt «der Hinterste und Letzte» endlich begreifen, was in der Branche abgehe, so die Frau mit Tränen in den Augen. Ihr droht eine Busse bis zu 10.000 Franken oder der Entzug des Wirtepatents.

Medienaufmerksamkeit hatte die gute Frau tatsächlich. Und es ist bis zu einem gewissen Grad auch nachvollziehbar, dass sie wegen der aktuellen Situation Angst hat um ihre Existenz hat. Aber sie ist nicht alleine. Die gesamte Branche ist im selben Boot.

Für die Branche sind Einzelaktionen – dazu noch illegale – verheerend. Die Aktion ist ein Affront gegenüber den restlichen 99 Prozent der Wirt:innen, Bar- und Clubbetreiberinnen, die sich an die Vorschriften des Bundes halten. Das Signal der Medien ist ebenfalls verheerend. Medien belohnen mit ihrer Berichterstattung illegales Verhalten. Und wo bleibt der journalistische Mehrwert und die Relevanz? 

Es ist nicht das erste Mal. Immer wieder stehen die Mikrofone offen für renitente Maskenverweigerer oder Menschen, die sich angeblich im «Widerstand» befinden und gegen das Gesetz verstossen und jegliche von Solidarität vermissen lassen. Das Schweizer Fernsehen portraitierte kürzlich eine Frau, die sich weigert, im öffentlichen Raum und in den Öffentlichen Verkehrsmitteln eine Maske zu tragen. In einer Telegram-Gruppe zeigten sich die Frau und ihr Partner anschliessend erfreut über die Medienaufmerksamkeit, die ihre «Widerstandsgruppe» erhalten habe.

Es darf nicht sein, dass sich Menschen mit illegalen Mitteln in Medien Gehör verschaffen und – wie im Falle der weinenden Wirtin – dann noch fast als Opfer dastehen. Es ist zudem gefährlich, solches Verhalten als «revolutionär» zu bezeichnen. Auch «ziviler Ungehorsam» trifft es nicht. Wer sein Geschäft oder sein Restaurant öffnet, gefährdet damit Menschenleben und hilft mit, die Krise zu verlängern. «Zivile Unsolidarität», trifft es schon eher. 

Medien dürfen nicht jeder Telegram-Gruppe hinterher rennen, in der irgendwelches Geschwurbel verbreitet wird. Leute, die sich in Telegram-Gruppen formieren, scheren sich meistens nicht um Grundrechte, Zusammenhalt und Solidarität. Und dabei gäbe es so viele andere Themen und Menschen, über die berichtet werden könnte. Unnötigen Themen, unnötiges Gewicht zu geben, ist ziemlich unnötig. 

Und was die Wirtin angeht, es gibt kreativere Massnahmen und Aktionen, um gegen die eigene Situation aufmerksam zu machen. Illegalität kann es nicht sein.


Ach ja: Die genannte Wirtin sagte vor einigen Tagen gegenüber der Presse, sie sei bereit, für ihre Aktion «ins Gefängnis zu gehen». Tatsächlich war sie sich überhaupt nicht bewusst, was sie da sagt und was die Konsequenzen für ihr Handeln sind. Es ist schlicht mangelndes Unrechtsbewusstsein.

Obwohl die Situation und die Dimension zwar keinesfalls vergleichbar ist, das möchte ich klar betonen, zeigen aber auch einige der Aufrührer in Washington, die letzten Mittwoch das Capitol gestürmt haben, ähnliche Verhaltensmuster. Neben übersteigertem Selbstbewusstsein, mangelt es auch ihnen an Bewusstsein über die möglichen Konsequenzen für ihre Aktion.

Eine junge Frau heulte in die Kameras, weil sie beim Betreten des Capitols von der Polizei mit Tränengas gehindert wurde. Sie quasselte von «Revolution» und davon, dass die Poizei sie angeblich bei dieser «Revolution» behindert habe. Welch verschrobenes Weltbild.

Ein anderer – mittlerweile von der Polizei identifizierter Capitol-Stürmer – klaute das Rednerpult von Nancy Pelosi und wollte damit sogar in ein Flugzeug steigen. Nachdem man ihn nicht an Bord gehen liess und ihn auf eine «No Fly»-Liste gesetzt hatte, heulte er im Flughafen herum. «Ihr ruiniert mein Leben», brüllte er ernsthaft in die Abflughalle ohne zu begreifen, dass er sein Leben wenige Stunden zuvor selber zerstört hat.

Wie kommt es, dass Menschen wissentlich Unrecht begehen und dann überrascht sind, dass ihre Taten Konsequenzen haben? Und was wollen ihre Tränen? Unser Mitleid? Unser Mitgefühl? Unser Verständnis?

2 Gedanken zu „Mangelndes Unrechtbewusstsein braucht keine Öffentlichkeit“

  1. Gewiss ist es falsch, einzelne Querläufer medial gross herauskommen zu lassen. Allerdings: Die blosse Illegalität eines Geschehens kann kein Grund sein, nicht darüber zu berichten. Als Beispiel genügen dürfte die illegale „Besetzung“ des Bundesplatzes durch Klima-AktivistInnen. „Es kann nicht sein, dass sich Menschen mit illegalen Mitteln in Medien Gehör verschaffen“: Diese Aussage ist im Lichte der Meinungsäusserungsfreiheit viel zu absolut formuliert.

    1. Sie sprechen tatsächlich ein diffiziles Spannungsfeld an. Ich würde allerdings eine „illegale Besetzung des Bundesplatzes“ mit der Absicht, auf die Klimaproblematik aufmerksam zu machen, nicht mit dem gesetzlichen Verstoss gegen die Covid-Verordnung gleichsetzen. Im zweiten Fall geht es um die Gefährdung Dritter, im ersteren um einen Gesetzesverstoss ohne Drittgefährdung, dafür mit hoher Gesellschaftsrelevanz.

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