Dieses Wochenende stimmt die Schweiz über die Konzernverantwortungsinitiative ab. Neben dem Wort «Konzern» gibt es auch den Begriff «Verantwortung». Der zweite Begriff im Titel der Initiative wird meistens etwas vergessen, weil es in der Debatte – vor allem bei den Gegnern – lediglich um die Konzerne geht. Dabei ist Verantwortung im 21. Jahrhundert wichtiger denn je.
Seit Menschengedenken gibt es Verantwortung. Während Jahrtausenden begrenzte sie sich jedoch auf einen selbst sowie das nahe Umfeld, Familie, Stamm oder Dorfgemeinschaft.
Eltern fühlten sich für sich selbst und ihre Kinder verantwortlich. Verantwortung war gewissermassen etwas Kurzfristiges. Alles was über zwei, drei kommende Generationen hinaus ging, lag nicht mehr in ihrer Verantwortung.
Obwohl frühere Menschen ebenfalls von natürlichen Ressourcen lebten und von ihnen abhängig waren, beispielsweise durch Waldrodungen, war die Ausbeutung lokal begrenzt. Holz konnte wieder nachwachsen und schien buchstäblich unbegrenzt vorhanden gewesen zu sein. Weshalb also hätten sich die vor dem industriellen Zeitalter lebenden Menschen für die nachfolgenden Generationen verantwortlich fühlen sollen?
Die Menschen in früheren Zeiten beuteten nicht nur die Natur viel weniger aus, sie waren zahlenmässig auch – im Vergleich zu heute – eine überschaubare Gruppe. Vor rund 10.000 Jahren lebten etwa vier Millionen Menschen auf der Erde. Erst um 1850 erreichte die Weltbevölkerung erstmals eine Milliarde. Seither sind nochmals knapp sieben Milliarden dazugekommen.
Vor allem die Entdeckung, beziehungsweise kommerzielle Nutzung von Öl seit Mitte des 19. Jahrhunderts, hat die Weltbevölkerung regelrecht explodieren lassen. Seit 1950 hat die Menschheit weltweit 1516.2 Gigatonnen, oder 1.5 Billionen Tonnen CO2 in die Atmosphäre gepustet.
Die heutigen knapp acht Milliarden Menschen fahren zwei Milliarden Autos, fliegen mehrere zehntausend Flugzeuge und beziehen Energie aus 440 Atomkraftwerke.
Wir industriellen- und postindustriellen Mensch sind sehr wohl gegenüber unseren nachkommenden Generationen verantwortlich. Diese Erkenntnis hat 1979 der Philosoph Hans Jonas in seinem Buch «Das Prinzip Verantwortung» erstmals eindrücklich beschrieben. Werden die Ressourcen der Erde weiter so rücksichtslos ausgebeutet und die Natur zerstört, stehe die Zukunft der gesamten Menschheit auf dem Spiel, so sein Fazit vor gut 40 Jahren.
Seither hat es etliche Uno-Klimakonferenzen gegeben von Genf, Berlin, bis nach Rio und New York. 2014 sind rund eine Million Menschen in New York für schärfere Klimamassnahmen auf die Strasse gegangen und seit gut zwei Jahren demonstrieren und streiken vor allem junge Menschen von Fridays for Future. Dennoch handeln wir immer noch so, als ob unser Umgang mit dem Planeten keine Konsequenzen hätte, weder für uns, noch für die nach uns lebenden Menschen. Das Gefühl für Verantwortung scheint noch immer zu fehlen.
«Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden. Oder negativ ausgedrückt: Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung nicht zerstörerisch sind für die künftige Möglichkeit solchen Lebens.»
Hans Jonas
Das Bewusstsein für Verantwortung scheint bei vielen Menschen auch 2020 noch immer nicht vorhanden zu sein. Die aktuelle Debatte von Gegner:innen der Konzernverantwortungsinitiative beispielsweise zeigt diesen Mangel eindrücklich. Anstatt Verantwortung für Mensch und Umwelt zu übernehmen, wird vor allem an finanzielle Profite gedacht und behauptet, das Anliegen «zerstöre» die Wirtschaft.
Gewisse Menschen handeln auch im 21. Jahrhundert noch immer so wie die Menschen in früheren Zeiten. Mit dem Unterschied, das frühere Menschen die Ökosysteme weniger ausgebeutet und auch nicht in einer industrialisierten Welt mit naturwissenschaftlichen Fakten gelebt haben.
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