Bioprodukte und Nachhaltigkeit sind noch immer etwas Besonderes. Um wirklich den Planeten zu schützen, müssten sie aber Normalität und längst Mainstream sein. Mainstream bedeutet, dass ein nachhaltiges Leben auch für alle Menschen bezahlbar sein muss.
Wohl kein Mensch möchte sich absichtlich schlecht ernähren. Biologische Lebensmittel sind deshalb immer beliebter. Im Pandemiejahr 2020 kauften Menschen in der Schweiz biologische Lebensmittel im Wert von mehr als 3.8 Milliarden Franken. Das ist mehr als eine halbe Milliarde mehr als noch 2019. Das Dumme: Biologische Lebensmittel sind teurer als industrielle Lebensmittel. Wer sich ausschliesslich biologisch ernähren möchte, muss tiefer in die Tasche greifen. Für Menschen mit tiefen Einkommen – oder solche am Existenzminimum – ist gesunde Ernährung oft ein Luxusgut.
Genau das ist das Problem. Nur weil jemand weniger verdient, ist das eigentlich kein Grund, dass er oder sie sich nicht ebenfalls gesund ernähren darf. Das Biolabel ist noch immer mit einer Art Lifestyle verbunden. Bioprodukte sind noch immer etwas Besonderes, das man sich leistet, weil man kann. Oder weil es in entsprechenden Milieus chic ist, sich vegan oder biologisch zu ernähren.
Das ist ein weiteres Problem. Bioprodukte sollte eigentlich nicht die teure Ausnahme sein, sondern die bezahlbare Normalität bei allen Lebensmitteln. Wenn wir wirklich den Planeten retten wollen – und dazu gehört auch eine landwirtschaftliche Wende – sollte Bio branchenweit Standard sein. Alles was nicht nach biologischen Grundlagen hergestellt wird, sollte aus den Verkaufsregalen verschwinden. Ein Biolabel wäre dann gar nicht mehr nötig.
Bis zur Industrialisierung der Lebensmittelindustrie nach dem Zweiten Weltkrieg waren Lebensmittel in der Regel grundsätzlich biologisch. Erst die Industrie und aufkommende Pestizide haben Lebensmittel in den vergangenen Jahrzehnten mit ungesunden Zusätzen bewusst schlechter gemacht, um die Absätze zu steigern. Hätte man einem Menschen vor dem Zweiten Weltkrieg das Konzept «Bioprodukt versus Industrie» erklärt, er hätte es wohl kaum verstanden.
Einen Hauch von Exklusivität hat auch der Begriff Nachhaltigkeit in den vergangenen 30 Jahren erreicht. Seit der Klimakonferenz in Rio im Jahr 1992 erlebte «Nachhaltigkeit» eine steile Karriere und löste den Begriff Umweltschutz ab. Vor allem Unternehmen brüsten sich heute damit, wie nachhaltig sie angeblich sind. Unternehmen die nicht das Wort Nachhaltigkeit auf ihrer Website oder ihren Leitlinien – ja selbst der Werbung – haben, stehen marketingmässig auf verlorenem Posten. Kein Unternehmen will das Image eiens Umweltverschmutzers. Nachhaltigkeit ist aber oft genau das, nicht viel mehr als Imagepolitur.
Der Begriff Nachhaltigkeit stammt ursprünglich aus der Forstwirtschaft des 19. Jahrhunderts. Damals ging es darum, mit dem Wald nachhaltig umzugehen. Also nur soviel Holz zu schlagen, wie innert einer nützlichen Zeit auch wieder nachwachsen kann. Der Bedarf an Holz war im 19. Jahrhundert riesig. Holz wurde als Baustoff verwendet oder als Energieträger für die Verbrennung. Unternehmen die heute von Nachhaltigkeit reden, verbrauchen oft mehr Energie und Ressourcen als der Planet auf natürliche Weise tatsächlich hergibt.
Warum muss Nachhaltigkeit immer so betont werden? Müsste Nachhaltigkeit sowie Verantwortung für die planetaren Grenzen nicht die Basis von allem Wirtschaften und Handeln sein?
Wirkliche Nachhaltigkeit und gesunde Ernährung können nur erreicht werden, wenn sie zur Normalität werden. Das bedeutet, dass wir wirtschaftliche, politische und auch konsumorientierte Strukturen verändern müssen. Unternehmen, die sich in Nachhaltigkeit rühmen, sollten mit gutem Beispiel voran gehen und beispielsweise weniger Güter zu produzieren. Andererseits sollte Politik aber auch endlich zugeben, dass ein geringerer Fleischkonsum ein effektives Mittel für effizienten Klimaschutz wäre.
Dass wir davon noch weit weg sind, zeigt die Tatsache, dass biologische Lebensmittel zwar immer beliebter sind, sie aber im Vergleich mit allen Lebensmitteln erst einen Anteil knapp elf Prozent ausmachen. Müsste es nicht längstens umgekehrt sein?
Politisch braucht es mehr Regulierung, die nicht nachhaltiges oder nur schein nachhaltiges Verhalten von Unternehmen – sogenanntes Greenwashing – konsequenter ahnden können. Unternehmen die nicht zum Wohle des Planeten und der Menschheit handeln, müssen stärker zur Rechenschaft gezogen werden. Im 21. Jahrhundert und im Blick auf die bereits gestartete Klimakrise darf Nachhaltigkeit nicht einfach ein Super-Begriff bleiben, dem keine Taten folgen. Darüber hinaus muss Nachhaltigkeit zwingend mit sozialer und unternehmerischer Verantwortung verknüpft werden. Nur so schaffen wir es, den Planeten zu schützen und den Anstieg des Klimas auf maximal zwei Grad zu begrenzen.