Konsumkritik: Wir produzieren zu viele Güter. Das muss aufhören

Produkte im Überfluss. Heute angesagt und schick, morgen out. Heute neu, morgen im Abfall. Bild: phb
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Wollen wir ernsthaft das Klima schützen, müssen wir auch weniger konsumieren. Oder besser: Massenprodukte gar nicht mehr erst herstellen. Unternehmen müssen zwingend ihre Produktion herunterfahren und die Mitarbeiter an den Geschäftsprozessen und Produktionsmitteln beteiligen. In der Folge würde sich das Konsumverhalten entspannen und das Ökosystem geschont.

Tausende Generationen der Menschheit lebten im Zeitalter der Knappheit. Ganz am Anfang war sogar das Feuer knapp. Erst als die Menschen eine Technik entwickelten und lernten, absichtlich Feuer zu machen, war dieses Knappheitsproblem gelöst. Die Menschen mussten nicht mehr frieren und gleichzeitig wurde mit der neuen Technologie das Kochen erfunden.

Trotz der Beherrschung des Feuers, waren Lebensmittel für die Menschen nach wie vor knapp. Jäger und Sammler verbrachten einen Grossteil ihres Alltags auch tausende Jahre nach der Entdeckung des Feuers mit der Beschaffung von Nahrungsmitteln.

Erst die «Erfindung» der Landwirtschaft und des Ackerbaus vor etwa 10’000 Jahren, hat das Nahrungsproblem allmählich gelöst, vorausgesetzt, die Ernte wurde glücklicherweise nicht von Heuschrecken oder einer Dürre vernichtet.

Bis vor rund 500 Jahren waren auch Bücher ein knappes Gut. Seit der Erfindung der Schrift vor etwa 6’000 Jahren, mussten Schriften und Bücher für die Vervielfältigung mühsam von Hand abgeschrieben werden. Erst Johannes Gutenberg löste das Knappheitsproblem des Buches im 15. Jahrhundert mit seiner Druckerpresse, mit der es möglich wurde, Bücher relativ einfach in grösseren Mengen zu reproduzieren.

Bis zur Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert waren auch Licht und Elektrizität ein knappes Gut. Erst mit der Elektrifizierung von Häusern und Städten hatten die Menschen die Dunkelheit der Nacht nach Jahrtausenden besiegt und somit das zeitlich begrenzte Licht des Tages auf 24 Stunden ausgedehnt.

Knapp waren auch die Güter des täglichen Bedarfs noch bis weit ins 20. Jahrhundert. Wer noch bis gegen Ende der 1940er-Jahre ein paar Schuhe kaufte, trug sie mit grosser Wahrscheinlichkeit für den Rest seines Lebens oder zumindest für einige Jahrzehnte.

Obwohl seit dem ausgehenden Mittelalter die Güterproduktion leicht angestiegen ist, lebten die Menschen bis zu Beginn der 1950er-Jahre in ständiger Knappheit. Es war die Zeit vor dem Wachstum.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, während des Wiederaufbaus, begann die Phase der Wachstumsexplosion. Güter wurden nun erstmals nicht mehr nur in kleinen Serien oder Einzelstücken hergestellt, sondern in grossen Massen produziert. Die grössere Stückzahl senkte den Preis für tägliche Gebrauchsgüter, gleichzeitig stiegen die Löhne wie nie zuvor seit Beginn des kapitalistischen Zeitalters.

Nach dem Zeitalter der Knappheit leben wir nun im Zeitalter des Überflusses

Nach Jahrhunderten der Sklaverei, der Unterdrückung durch Könige und dem Trauma zweier Weltkriege, schien die Menschheit endlich das Knappheitsproblem für alle Güter gelöst zu haben. Auch das Knappheitsproblem der Lebenszeit hatte sich dank besserer Medizin und Medikamenten deutlich erhöht. Die Lebenserwartung stieg.

Erstmals in der Menschheitsgeschichte, war es «normal», mehrere paar Schuhe zu besitzen, womöglich auch gleich mehrere Auto oder Wohnungen. Es war die Zeit, als die Menschen begannen, Konsum als Freizeitbeschäftigung zu betrachten. Konsum war nun nicht mehr ein Mittel zum Zweck für das Lebensnotwendige, sondern Ausdruck persönlicher Identifikation und Spass.

Während die Menschen in früheren Jahrhunderten und Jahrtausenden ein asketisches Leben in Knappheit gelebt haben, kippten die Konsummöglichkeiten innerhalb weniger Jahre radikal. Aus Knappheit wurde Überfluss. Das Angebot vervielfachte sich explosionsartig.

In einer Zeit, in der Menschen mehr konsumieren, als sie für ihr Leben brauchen, gehören Herstellerfirmen zu den grossen Gewinnern. Erstmals konnten Unternehmen Produkte designen und Bedürfnisse der Konsumenten kreieren.

In der jüngeren Geschichte ist Apple mit seinem iPhone wohl das bezeichnendste Beispiel. Apple hat mit seinen Produkten und dem Design völlig neue Bedürfnisse erzeugt und einen Milliardenmarkt geschaffen. Auch das Möbelhaus Ikea gehört in diese Sparte. Ikea hat mit seinen Produkten ganz neue Wünsche und Bedürfnisse geschaffen und nebenbei das «Wohnen» für Millionen Menschen neu designt und definiert.

Ikea-Werbung aus dem Jahr 1986. Rückseite eines Buchumschlags von Jacobin. Bild: phb

Das ewige Märchen vom «guten» Wachstum

Konsum ist toll und kann auch glücklich machen. Keine Frage. In den letzten Jahrzehnten hat sich der Konsum von Gütern aber in eine ungesunde Richtung entwickelt. Ungesund für uns und vor allem auch ungesund für den Planeten. Wir konsumieren oft gedankenlos Dinge, die wir nicht brauchen oder nach kurzer Zeit in den Abfall werfen.

Brauchen wir wirklich jedes Jahr ein neues Smartphone? Regelmässig ein neues Auto oder alle paar Wochen neue Kleidung? Kann ich auch alles aufessen, was ich in meinen Kühlschrank stopfe? Jedes Produkt, das hergestellt wird, verursacht CO2 oder belastet die Umwelt in anderer Form.

Konsumkritik heisst aber nicht einfach, den Menschen zu verbieten, zu konsumieren. Das ist der falsche Ansatz. Natürlich soll jeder bewusster konsumieren und sich die Frage stellen, brauche ich das wirklich?

Das grosse Problem sind aber nicht die Konsumenten, sondern die Hersteller, die Bedürfnisse und Märkte für die Konsumenten schaffen. Mit anderen Worten: Um das Klimaproblem ernsthaft zu lösen und anzugehen, braucht es nicht nur weniger Konsum, sondern vor allem auch weniger Produktion.

Konsumkultur in Tokyo. Überfluss kann auch zu Entscheidungsproblemen führen. Ein Mann in einem Manga-Geschäft quält sich mit dem riesigen Angebot. Bild: phb

Wachstum ist seit den 1950er-Jahren eine Art Religion und Selbstverständlichkeit

Solange das politische und wirtschaftliche Narrativ jedoch auf Wachstum fokussiert, werden sich Unternehmen auch nicht darum bemühen, weniger zu produzieren. Seit Jahrzehnten wird von der Politik und in den Medien das Wachstumsmantra verkündet. Wachstum ist wie eine Religion. Eine Welt ohne Wachstum ist für viele noch immer unvorstellbar.

Während unserer Körpergrösse biologisch Grenzen gesetzt sind, scheint Wachstum in der Wirtschaft keine Grenzen zu kennen. Unser Planet verträgt aber kein Wachstum, wenn wir ihn als Lebensgrundlage erhalten wollen.

Vom Wachstum profitieren wir Konsumenten nur indirekt. Wir können uns zwar schöne Produkte kaufen und in Überfluss leben. Die Gewinner des Wachstums sind jedoch die Firmen, die solche Produkte herstellen. Dank Wachstum erwirtschaften sie fette Gewinne.

Um das Wachstum aufrecht zu halten – oder zu steigern – muss immer noch mehr produziert werden. Steigende Produktion bedeutet auch einen Anstieg der Treibhausgasemissionen und Ausbeutung von natürlichen Ressourcen. Eine tödliche Korrelation.

Oft übersteigt der Gewinn die Fixkosten wie Löhne, Miete und Produktionskosten um ein Vielfaches. Verantwortungsvolle und nachhaltige Unternehmen des 21. Jahrhunderts sollten daher nicht nur an ihren eigenen Profit denken, sondern erkennen, dass Wachstum für die Allgemeinheit und das Ökosystem nicht vorteilhaft, ja sogar schädlich ist.

Gleichzeitig sind Unternehmen, die sich vor allem durch Wachstum definieren, oft instabil und wenig resilient. Sie sind krisenanfällig. Sobald das Wachstum für einige Zeit ausbleibt oder sich abschwächt, geraten sie in Schwierigkeiten. Das wirkt sich wiederum negativ auf die Angestellten aus. Entlassungen und Einsparungen sind die Folgen. (Jüngstes Beispiel ist die Credit Suisse. Trotz Milliardengewinnen, werden Leute entlassen und das Unternehmen restrukturiert.)

Oft werden jene Mitarbeiter:innen entlassen, die zuvor in einer euphorischen Wachstumsphase eingestellt wurden. Würden sich Unternehmen vom Wachstumszwang befreien, wären sie robuster für die Zukunft und könnten ihren Mitarbeitern mehr Sicherheit und Vertrauen geben.

Konsumkultur in Warschau. Es geht auch etwas einfacher und mit weniger Verpackung, wie dieser Fischstand in der polnischen Hauptstadt Warschau zeigt. Bild: phb

Die Zeit des schottischen Ökonomen und Aufklärers des 18. Jahrhunderts, Adam Smith, ist abgelaufen. In seiner Welt war Konsum der Hauptgrund für die Produktion. Weil die Menschen konsumieren, müssten Unternehmen mehr produzieren, so seine Philosophie.

Von dieser Vorstellung müssen wir uns verabschieden. Wir müssen endlich erkennen, dass es das übermässige Angebot an Gütern ist, das die Nachfrage bestimmt und nicht umgekehrt.

Während neue Produkte zwar die Unternehmensgewinne steigern, steigt die Kurve unserer Lebensqualität und Zufriedenheit nicht in demselben Ausmass an. Was nützen uns all die neusten künstlichen Intelligenzen, wenn wir im richtigen Leben keine Freundschaften und Beziehungen knüpfen können und uns Stress am Arbeitsplatz krank macht?

Das Verhalten ändern müssen daher in erster Linie die Hersteller und nicht die Konsumenten. Solange Industrien uns Menschen ständig neue Smartphones, Autos und andere Güter vor die Nase werfen, werden wir diese Dinge auch kaufen. Solange das Wachstums-Narrativ als alternativlos gilt, werden Güter auch in Massen hergestellt und die Ökosysteme belastet.

Der einzige Weg, den Massenkonsum global einzudämmen und damit effektiven Klimaschutz für den gesamten Planeten zu betreiben, besteht also in einer geringeren Produktion von Gütern.

Aufteilung der Produktionsmittel unter den Mitarbeiter:innen

Freiwillig die Produktion zurückfahren werden die wenigsten Unternehmen. Dazu braucht es politische Vorgaben und vor allem ein Umdenken in den Köpfen von Politikern, Unternehmern und Investoren.

Eine Möglichkeit wäre, die Produktionsmittel von Unternehmen, deren einziger Zweck auf die Erwirtschaftung von Gewinn ausgerichtet ist, zu kollektivieren und womöglich auf die Mitarbeiter zu übertragen.

Eine Fabrik oder eine Firma würde dann nicht mehr einem Unternehmer oder einem Unternehmerkollektiv gehören, sondern vorwiegend den Angestellten. Diese wiederum hätten ein Interesse, dass es der Firma gut geht und sie stabil bleibt.

Werden die Mitarbeiter:innen an den Prozessen und Produktionsmitteln eines Unternehmens als Miteigentümer beteiligt, würden sich auch ihre Arbeitsbedingungen und Löhne verbessern und stabilisieren.

Wenn es keine Überproduktion mehr gibt, würde auch der Konkurrenzdruck kleiner werden. Konkurrenzdruck und die Produktion von billiger Massenware wirkt sich oft negativ auf die Löhne der Mitarbeit:innen aus und verursacht psychischen Stress.

Eine geringere Produktion und sinkender Kostendruck würden die Mitarbeiter:innen sozial und psychisch entlasten. Auf Konsumentenseite würde sich das Angebot etwas entspannen, da Produkte wieder langlebiger und qualitativ hochwertiger hergestellt würden. Dies wiederum hätte positive Auswirkungen auf das Klima.

Symbol der weltweiten Überproduktion und des Warenverkehrs. Frachtcontainer im Hafen von Hamburg. Bild: phb

Nicht zurück ins Zeitalter der Knappheit, aber vorwärts in ein neues Zeitalter der Verantwortung

Kein Mensch will zurück ins Zeitalter der Knappheit. Es geht auch nicht darum, den Menschen ihre iPhones wegzunehmen. Kein Mensch möchte ins 19. Jahrhundert zurück, als wir nur ein paar löchrige Schuhe zuhause hatten und unsere Wohnungen morgens nach dem Aufstehen kalt waren und wir sie erst mit dem Ofen aufheizen mussten. Darum geht es nicht.

Es geht um ein neues Zeitalter, in dem wir selbstverständlich mehr als ein paar Schuhe besitzen dürfen. Allerdings ein Zeitalter, in dem wir nicht Schuhe für sieben Euro aus einer Billigproduktion in den Regalen der Schuh-Discounter stehen haben. Keine Schuhe, die von unterbezahlten Menschen hergestellt wurden und nach drei mal tragen kaputt sind oder laut Marketingabteilung des Herstellers bereits wieder aus der Mode gekommen sind, nur weil sie uns das noch «bessere und coolere» Modell verkaufen wollen.

Es geht um ein neues Zeitalter, in dem die Industrie nicht mehr auf Wachstum und Profit ausgerichtet ist, sondern das Wohlergehen der Angestellten und der Konsumenten, also der Allgemeinheit, im Zentrum steht.

Kurz gesagt: in diesem neuen Zeitalter – das besser heute als morgen anbricht – wird unser Planet als Lebensgrundlage für alle Menschen nicht mehr aus Profitgründen einiger weniger Unternehmer an die Wand gefahren, sondern nachhaltig bewirtschaftet, gepflegt und geschätzt.

Es ist nicht das Zeitalter der Knappheit und auch nicht das Zeitalter des Überflusses. Es ist die Zukunft, in der Verantwortung wichtiger wird denn je und eine neue Bedeutung erhält.

3 Gedanken zu „Konsumkritik: Wir produzieren zu viele Güter. Das muss aufhören“

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  2. Genau das ist der richtige Weg. Ich denke die meisten Menschen haben ins geheime den Wunsch schöne Dinge zu besitzen und demzufolge zu konsumieren. Jeder merkt es an sich selbst natürlich. Und sich einzuschränken und vielleicht sogar das zu kaufen was man nur braucht fällt sehr schwer.
    Ich denke wir Menschen müssten auf einen ziemlich selben Level leben. Das würde uns auch sehr näher bringen.
    Es müsste auch diese Produktvielfalt eingeschränkt werden und die Werbung dürfte überhaupt nicht mehr auf Konsum ausgerichtet sein, sondern mit dem Hauptgedanken : was brauche ich wirklich ohne die Erde zu schädigen.
    Vielleicht sollte man auch einmal darüber nachdenken das gesamte Finanzsystem umzukrempeln. Das Wort Gewinn in finanzieller Hinsicht dürfte es gar nicht mehr geben, von der Börse ganz zu schweigen. Dort läuft viel Negatives ab, was den Kapitalismus zum schlimmsten überhaupt werden lässt.
    Das heißt, wir müssten eine total andere Gesellschaftsordnung haben. Der krasse Kapitalismus, der letztendlich unsere Erde kaputt macht hat ausgedient. Nur wir alle können und müssen etwas dagegen tun. Das die Reichen nicht noch reicher werden und immer mehr Macht und Einfluß auf die meisten Menschen erhalten.

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