Können wir uns eine andere Welt überhaupt vorstellen?

Soll die Zukunft tatsächlich «grüner» und die Welt ein Ort für alle Menschen werden, braucht es neben einem entschlossenen Umdenken auch Träume und Utopien. Bild: phb
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Alle reden von Nachhaltigkeit. Einige reden von Nachhaltigkeit und Wachstum gleichzeitig. Das geht nicht. Nachhaltigkeit und Wirtschaftswachstum passen nicht zusammen. Wollen wir die Welt wirklich zu einem «besseren Ort» machen, können wir nicht auf alte Konzepte zurückgreifen, mit denen wir uns in die aktuellen Probleme hineingeritten haben. Ein Essay.

«Grünes Wachstum», «nachhaltige Wirtschaft» oder «grüne Innovation»: Wie auch immer die ökologischen Anstrengungen der Wirtschaft genannt werden, um ihr einen nachhaltigen Anstrich zu geben, sie sind Unsinn. Wachstum ist nie grün. Nachhaltigkeit und Wachstum lassen sich nicht vereinbaren.

Der Begriff «grünes Wachstum» ist eine Mogelpackung mit dem sich Unternehmen ein grünes Image geben und suggerieren, umweltfreundlich zu sein. Dem Wachstum ist die Farbe aber egal. Man könnte es auch rosarotes Wachstum oder violettes Wachstum nennen, es wäre das Selbe.

Egal mit welcher Farbe wir Wachstum anpinseln: Wachstum bedeutet immer Ausbeutung von natürlichen Ressourcen. Genau das ist das Problem. Solange wir die Umwelt und das Ökosystem als Rohstofflager und Supermarkt für menschliche Bedürfnisse betrachten, können wir die ökologischen Krisen nicht stoppen.

Solange wir Wohlstand als logische Konsequenz von Wachstum definieren, macht es eigentlich keinen Sinn, ernsthaft über Lösungen des Klimaproblems und Artensterbens zu sprechen. «Nachhaltiges Wachstum» darf nicht die Alternative zum Wachstum sein. Die Alternative zum Wachstum im 21. Jahrhundert bedeutet Degrowth.

Mit neuer Sprache die Zukunft benennen

Um die Welt so zu gestalten, dass alle Menschen darin leben können und wir die Ökosysteme schonen, müssen wir völlig neue Konzepte entwerfen. Wir können die aktuellen Probleme nicht mit Ideen und Konzepten aus der Vergangenheit bewältigen, die uns erst in diesen Schlamassel hineingeritten haben.

Zu neuen Ideen und Konzepten gehört auch eine neue Sprache und ein neues Bewusstsein darüber, wie die Welt überhaupt funktioniert. Ein Bewusstsein, dass es nicht mehr «wir» und «die» gibt, sondern nur noch «uns» als Menschheit.

Noch immer hört und liest man (teilweise sogar in den Medien von Journalist:innen) den Begriff «Dritte Welt». Die Leute meinen damit meistens den Kontinent Afrika. Sie meinen damit auch, das «wir» in der «ersten Welt» leben. Die Bezeichnung ist aber seit 30 Jahren out of date und war schon im Kalten Krieg Ausdruck von Arroganz, Rassismus und Menschenfeindlichkeit.

Im Kalten Krieg bezeichnete sich der überhebliche kapitalistische Teil des Nordens als «erste Welt», während der sozialistische Osten zur «zweiten Welt» gezählt wurde. Die «unterentwickelten» Staaten Afrikas und Lateinamerikas mussten sich unfreiwillig mit dem dritten Platz abfinden.

Auch wenn heute nur noch gelegentlich von der «dritten Welt» gesprochen wird, die Stereotypen und die Überheblichkeit sind geblieben. 2020 gilt es noch immer als völlig adäquat, im öffentlichen Diskurs von «entwickelten» und «unterentwickelten» Staaten zu sprechen.

Diese überhebliche Sichtweise von Menschen im Norden gegenüber Menschen im Süden meint eigentlich nichts anderes als: «Wir» im Norden sind entwickelt und haben uns den wohlverdienten Wohlstand erschaffen, den wir uns nicht von den unterentwickelten «Primitiven» im Süden nehmen lassen. Die im Süden sollen uns aber gefälligst ihre Rohstoffe zur Verfügung stellen, damit wir unsere Konsumlust stillen können.

Solange wir die Welt aus dieser Perspektive sehen, können die globalen Probleme nicht gelöst werden. Artensterben und Klimakrise unterscheiden nicht zwischen entwickelt und unterentwickelt.

Abschied von Privilegien und Bequemlichkeit

Zurzeit sind laut UNHCR weltweit knapp 80 Millionen Menschen auf der Flucht. Flucht ist neben regionalen Krisen und Kriegen vor allem ein Produkt jahrzehntelanger Unterscheidung in «entwickelt/unterentwickelt».

Um die aktuellen Krisen zu bewältigen, muss der globale Norden mit dieser Unterscheidung aufhören und verstehen lernen, dass Wohlstand nicht ein Privileg des Nordens ist, sondern ein Recht für alle Menschen auf der Erde.

Diese Erkenntnis bedingt aber auch, dass der Norden begreift, Privilegien abgeben zu müssen und Wohlstand nicht mehr durch Wachstum zu definieren.

Wohlstand darf also nicht mehr materiell durch Konsum und als Folge von Wachstum aufgefasst, sondern soll als ideellen Wert betrachtet werden, der beispielsweise Sicherheit, die Abwesenheit von Krieg, Glück oder demokratische Mitbestimmungsrechte beinhaltet. Ein solches Wohlstandsverständnis bedingt einschneidende und für viele auch unbequeme Verhaltensänderungen im Alltag.

Nur weil die Airline-Branche Billigflüge und die Automobilindustrie SUV anbietet, gibt es auf die Nutzung von klimaschädlichen Fortbewegungsmitteln kein Menschenrecht. Nur weil das kapitalistische und ausbeuterische System in der Vergangenheit solche toxischen Angebote unterbreiten durfte, heisst das nicht, dass wir auch in Zukunft Anrecht auf sie haben.

Können wir uns die Zukunft überhaupt vorstellen?

Um die Welt zu einem neuen und «besseren» Ort zu machen, müssen wir uns nicht nur von alten Gewohnheiten und Mustern trennen, sondern uns zuerst einmal eine neue Welt überhaupt vorstellen können. Wie soll denn die Zukunft aussehen? Was heisst es, sich nicht mehr über Konsum und materielle Güter zu definieren? Was heisst es, mit allen Menschen auf Augenhöhe zu kommunizieren, egal woher sie kommen und wie sie aussehen?

Zukunft bedeutet nicht nur auf rationaler und politischer Ebene Veränderungen herbeizuführen , sondern beinhaltet auch Träume und Utopien zu entwerfen, die einen längeren Zeithorizont im Auge haben, als nur bis zu den nächsten Quartalszahlen eines Unternehmens.

Das aktuelle kapitalistische und ressourcenverschwenderische System denkt nur in kurzen Zeithorizonten: Genau deshalb verhält es sich verantwortungslos und egoistisch künftigen Generationen gegenüber. Sich über die Zukunft Gedanken zu machen bedeutet nämlich auch, Verantwortung zu übernehmen für die Menschen, die nach uns kommen.

Utopien und Träume sind wichtig, um uns auch eine Welt jenseits des derzeit Machbaren vorzustellen. Vielleicht sogar eine zu perfekte Welt, die wir nie erreichen werden, an die wir aber möglichst nahe herankommen wollen.

Bereits Thomas Mores hat «Utopia» in seinem Roman aus dem Jahr 1516 eine doppelte Deutung gegeben. Im altgriechischen Sinne deutete er Utopia als nicht existierender Ort und im Sinne von «Eutopie» als einen «guten Ort». Anders gesagt: Wer nicht träumt und sich keine Utopie vorstellen kann, kann sich auch nicht von den Fesseln der Gegenwart befreien.

Eine Utopie ist ein Idealzustand einer unbekannten, zukünftigen fernen Gesellschaft. Eine Welt ohne Wachstum ist jedoch durchaus realistisch und keine wirkliche Utopie. Wachstum ist lediglich Konsens und Teil des gesellschaftlichen Storytellings der vergangenen Jahrzehnte.

Genau deshalb müsste sich ein Wachstumsstopp auch bereits heute realisieren lassen. Dafür braucht es lediglich ein Umdenken und ein Abschied vom ewigen Wachstums-Narrativ. Damit dies gelingt, benötigen wir eine neue Sprache, mit der wir die Zukunft des «Weniger» benennen können.

Und eine neue Welt denken bedeutet auch, etablierte Machtverhältnisse in Frage zu stellen und Macht neu zu verteilen. Dafür braucht es gesellschaftliche und politische Anstrengungen, die nicht nur aus wirtschaftlicher Perspektive argumentieren und handeln, sondern multiperspektivisch möglichst viele Menschen an den Prozessen teilhaben lassen.

Ein Umdenken in eine neue, andere Richtung, die das Ökosystem schont und möglichst vielen Menschen eine Perspektive gibt, ist möglich. Der globale Abschied vom Wachstumswahn wäre der erste wichtige Schritt in diese neue Welt. Wenn wir das schaffen, wird die Welt nicht nur grün oder rosarot, sondern bunt und ein guter Ort für alle.

2 Gedanken zu „Können wir uns eine andere Welt überhaupt vorstellen?“

  1. Super Bericht, Danke!
    Mit Wachstum meinst Du, nehme ich jetzt mal an Wirtschaftswachstum oder Wachstum im materialistischen Sinne. Denn Wachstum von Urwäldern, ökologisch verträglichen Stromversorgungssystemen oder Wachstum von Bewusstsein für einen möglichst kleinen ökologischen Fussabdruck wäre ja schon ok, oder?

    1. Danke. Ja, es geht primär um Wirtschaftswachstum und Konsum. Wachstum also, das schlecht ist für den Planeten, weil es mit der Ausbeutung von natürlichen und menschlichen Ressourcen verbunden ist. Wachstum von immateriellen Gütern wie Glück oder Sicherheit wäre natürlich toll und erstrebenswert.

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