Klimacamp: Die Zukunft unserer Welt ist kein «rechtsfreier Raum»

Bürgerliche Parlamentarier:innen empören sich über das Klimacamp. Als Folge wird der Bundesplatz geräumt.
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Bürgerliche Politiker:innen schreien, Medien berichten und der Staat greift durch. Das Klima-Protestcamp auf dem Bundesplatz in Bern ist geräumt. Die Räumung und die mediale Berichterstattung machen deutlich: Das Klimathema wird noch immer nicht ernst genommen. Anstatt über die Anliegen der Demonstrierenden zu diskutieren, ist es seit Montag nur um die Frage gegangen, wann das Camp aufgelöst wird? Die «Illegalität» eines Protests auf dem Bundesplatz während einer Session wird vorgeschoben, um den wirklichen Zukunftsfragen aus dem Weg zu gehen.

Am Montag haben mehrere Hundert Menschen – darunter viele junge – den Bundesplatz in Bern in Beschlag genommen. Mit ihrem Protestcamp wollten sie das Parlament zum Handeln aufgefordern. Anstatt über das berechtigte Anliegen medial und politisch zu diskutieren, haben die angebliche «Illegalität» des Protests sowie die Empörung von bürgerlichen Politiker:innen den medialen Diskurs der vergangenen zwei Tage dominiert.

Die Anliegen der Demonstrierenden waren im Schweizer Fernsehen lediglich am Montagabend in der Tagesschau kurz Thema. Während den ersten knapp 75 Sekunden des Beitrags durften sich zwei Aktivistinnen vor der Kamera zu ihren Kernanliegen äussern, dass der CO2-Ausstoss bis 2030 und nicht erst 2050 bei Nettonull liegen soll. Danach fokussierte die gesamte Berichterstattung – auch in anderen Medien – auf der Verhältnismässigkeit des Protests und der Forderung von bürgerlichen Politiker:innen, das Camp zu räumen.

Dass das Klimathema eben nicht ein politisches Anliegen ist, wie jedes andere, wurde weder diskutiert noch erkannt. Noch immer werden die Demonstrierenden als «Klimajugend» verunglimpft, so, als ob die Klimakrise nur junge Menschen betrifft.

Vertreter:innen der SVP, sowie weitere bürgerliche Politiker:innen anderer Parteien, haben bereits am Montag gefordert, das Camp zu räumen. Die gesamte mediale Berichterstattung fokussierte vor allem darauf, ob die Stadt Bern dieser Forderung nachkommen wird. Urs Leuthard vom SRF erklärte in der Tagesschau vom Montag, dass er es sich nicht vorstellen könne, dass die Stadt Bern den Protest gewähren lasse, weil der «Druck von bürgerlicher Seite, das Camp zu räumen, bereits heute sehr gross» gewesen sei. Genau das ist das Problem: Bürgerliche Politiker:innen schreien, Medien berichten und der Staat handelt.

Einen Tag später durfte die St. Galler SVP-Nationalrätin Esther Friedli in der Tagesschau sogar darüber schwadronieren, dass Bern nun «nach der Reitschule einen zweiten rechtsfreien Raum» habe. Ein «rechtsfreier Raum»? Die Zukunft der Menschheit ist für die «Volkspartei» also ein rechtsfreier Raum?

Richtig eingeordnet hat es SP-Jaqueline Badran. Auch wenn sie sich unnötig im Ton vergriffen hat, liegt sie in der Grundessenz richtig, wenn sie sagt, der mediale Fokus zur Berichterstattung über das Klimacamp sei falsch. Mit anderen Worten: Die Berichterstattung zu Klimafragen und zur Zukunft unserer Gesellschaft/Welt braucht eine Neujustierung. Es geht eben nicht mehr um eine demokratiepolitische Frage – zwischen Ja oder Nein – sondern nur noch um die Frage, wann?

Aber nicht, wann wird (das Camp) geräumt, sondern, wann wird politisch endlich entschlossen gehandelt? Wann handelt die Politik endlich im Sinne einer Zukunft aller Menschen und der Umwelt?

Anders erklärt: Will eine Mehrheit der Stimmberechtigten kommenden Sonntag an der Urne neue Kampfflugzeuge kaufen, ist das ein demokratischer Entscheid. Für all jene, die keine Kampfflugzeuge wollen, wäre ein solcher Entscheid zwar eine Niederlage und würde für die Allgemeinheit verlorenes Geld bedeuten, mit dem die Armut und andere sozialen Probleme hätten bekämpft werden können. Beim Klima sieht es anders aus.

Unterlässt es die Politik beim Klima endlich vorwärts zu machen, werden nicht nur die jungen Menschen auf dem Bundesplatz um ihre Zukunft gebracht, sondern dann betrügen sich auch all jene SVP-Politiker:innen selbst, die lauthals ein Ende des Camps gefordert hatten. Klimapolitik betfrifft ALLE Menschen, egal ob Klimaleugner, -skeptiker oder einfach solche, die sich um die Wirtschaft und Arbeitsplätze sorgen. Diese Ironie wollen/können solche Menschen offenbar nicht einsehen.

Klimapolitik ist keine Sachpolitik, die in einigen Jahrzehnten von einer neuen Generation wieder zurechtgebogen oder wieder rückgängig gemacht werden kann. Kaufen wir am Sonntag neue Kampfjets, in 30 Jahren täten wir es bestimmt nicht mehr. Beim Klima allerdings geht es um grundsätzliche unwiderrufliche Zukunftsfragen. Wie wollen wir Leben? Wie können wir das Klima schützen? Welchen Wert geben wir uns als Idividuum? Welchen Wert hat die Umwelt? Werden jetzt nicht endlich die Weichen gestellt, hat eine verfehlte Klimapolitik Auswirkungen für die Menschen der kommenden Jahrzehnte, Jahrhunderte, ja sogar Jahrtausende.

Die Dringlichkeit der Klimafrage – und Entkopplung von generellen politischen Alltagsfragen – müssten nicht nur endlich alle rechten Politiker:innen einsehen, sondern auch Journalist:innen. Wir haben jetzt die einmalige Gelegenheit, die Weichen für die Zukunft zu stellen. Im Alltag, in der Berichterstattung, in der Politik etc.

Tun wir dies nicht, werden alle kommenden Generationen – egal ob in 20 Jahren oder in 1000 Jahren – uns Menschen des frühen 21. Jahrhunderts zwar als technologisch fortgeschritten ansehen – vielleicht – dafür aber ganz bestimmt nicht als gross und weitsichtig in Erinnerung behalten.

Das Camp auf dem Bundesplatz ist kein «rechtsfreier Raum». Die campierenden Menschen vor dem Bundeshaus sind die Zukunft. In dieser Zukunft heisst es, Verantwortung zu übernehmen. Verantwortung uns selbst, der Umwelt und allen anderen Menschen gegenüber. Viele der lauthals schreienden Politiker:innen müssen offenbar zuerst noch lernen, was Verantwortung wirklich bedeutet.

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