Explodiert ein Schweizer AKW, wird das gesamte Mittelland unbewohnbar

Der havarierte Reaktor 4 Lenin in Tschernobyl im Jahr 2013. Mittlerweile haben die ukrainischen Behörden einen Sakopharg über den Reaktor gebaut, der die Strahlung für die kommenden 100 Jahren eindämmen soll. Foto: phb
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Heute vor 35 Jahren havarierte der Reaktor 4 in Tschernobyl. Das Gebiet um das Atomkraftwerk ist für die kommenden Jahrhunderte für Menschen unbewohnbar. Würde sich eine solche Katastrophe in der Schweiz ereignen, das gesamte Mittelland müsste evakuiert werden. Die Schweiz wäre auf einen Schlag ausgelöscht und unbewohnbar. Muss es erst soweit kommen, bis ein Umdenken stattfindet?

In einem Radius von 30 Kilometern rund um das Atomkraftwerk Tschernobyl gibt es seit der Katastrophe von 1986 eine Sperrzone. Alles ist abgeriegelt. Ein längerer Aufenthalt – geschweige denn dort zu leben – ist undenkbar. Wahrscheinlich für die kommenden 500 Jahre, vielleicht auch noch länger.

Ausserhalb der Sperrzone leben Menschen. Gesund dürfte es für diese Menschen aber nicht sein. Der strahlende Radius in dem es gesundheitlich nicht empfehlenswert ist, sich länger aufzuhalten, dürfte viel grösser sein. Tschernobyl liegt im ukrainischen Hinterland, viele Menschen haben auch vor der Reaktorkatastrophe dort nicht gelebt. Ausser natürlich in Prypjat, der in den 1970er-Jahren aus dem Boden gestampften Stadt, in der mehrheitlich Angestellte des Atomkraftwerks und ihre Familien lebten. Zum Zeitpunkt der Katastrophe lebten fast 50.000 Menschen in der Stadt.

Prypjat ist heute eine Geisterstadt, wie man sie aus dystopischen Hollywood-Filmen kennt. Vor rund acht Jahren war ich in der verlassenen Stadt und dem Reaktor zu Besuch. Es war einer der bizarrsten Ausflüge, die ich jemals in meinem Leben unternommen habe. (2016 habe ich diesen Trip bei Watson.ch beschrieben.)

Bizarrer wird es, wenn man sich das Horror-Szenario einer Reaktorkatastrophe eines Schweizer AKW vorstellt. Beispielsweise beim AKW Beznau. Es ist weltweit das älteste noch in Betrieb stehende Atomkraftwerk. Im Sommer 1969 ist es ans Netz gegangen.

Gäbe es in Beznau eine Kernschmelze oder ein anderes Ereignis wie ein starkes Erdbeben, einen Flugzeugabsturz oder gar einen Terroranschlag, das Schweizer Mittelland wäre sofort verstrahlt und für die kommenden 500 oder 1000 Jahre unbewohnbar. Schaffhausen, Zürich, Aarau, aber auch Basel oder Winterthur befinden sich innerhalb oder nahe eines 30 Kilometer-Radius. Diese Städte wären unbewohnbar.

Aber auch ausserhalb dieser Zone wäre ein Leben nach einer solchen Katastrophe nicht mehr denkbar, wie wir es bisher kennen. Die Schweiz wäre von heute auf morgen buchstäblich ausgelöscht. Nach einer sofortigen Evakuierung von Millionen von Menschen würde es in der Folge zu einer Binnenwanderung kommen. Hunderttausende Schweizerinnen und Schweizer auf der Flucht ins Tessin, in die Westschweiz oder in die Nachbarländer Frankreich, Italien, Deutschland. Vorausgesetzt, die Länder würden Schweizer Flüchtlinge aufnehmen. 

Neben der grösstmöglichen überhaupt denkbaren Umweltkatastrophe, wäre das also auch eine humane Katastrophe, die alles bisherige in der Schweiz in den Schatten stellen würde. Neben Flucht und Migration würde auch das Gesundheitswesen sofort kollabieren und Tausende von Menschen in den folgenden Wochen, Monaten und Jahren aufgrund der Strahlung sterben.

Es ist unverantwortlich, dass Atomkraftwerke überhaupt noch in Betrieb sind. AKW sind tickende Zeitbomben, die jederzeit alles Leben auslöschen und weitflächige Gebiete (im Falle der Schweiz faktisch das gesamte Land) unbewohnbar machen können. In verschiedenen AKW-Sicherheitsstudien wird beispielsweise von einem gewaltigen Erdbeben gesprochen, dass sich geologisch gesehen, etwa alle 10.000 Jahre ereignet und zur Bedrohung werden kann. Was ist, wenn dieses Erdbeben in diesem Jahrhundert stattfindet? 

Ganz zu Schweigen vom atomaren Abfall, den Kraftwerke hinterlassen. Bis heute hat weltweit noch kein einziges Land ein Atomendlager für seine radioaktiven Abfälle gefunden, beziehungsweise gebaut. Auch die Schweiz nicht. Zurzeit lagern im Zwischenlager beim Paul Scherrer Institut in Würenlingen etwa 5000 giftige Fässer und mehr als 100 sogenannte Castoren mit hochgiftigen radioaktiven Abfällen. Bereits in einigen Jahren dürfte die Kapazität des Zwischenlagers erschöpft sein. Noch bevor ein Endlager gefunden ist, braucht es wahrscheinlich ein zweites Zwischenlager. Ein regelrechter Irrsinn.

Denn neben den Atomkraftwerken sind auch die Zwischenlager höchst problematisch und ein Hochrisiko für die Gesellschaft. Manche Wissenschaftler:innen sagen sogar, dass Zwischenlager ein noch höheres Risiko bergen, als die AKW selbst.

Eine eigentliche Strategie, wie die Menschheit vor den Strahlen geschützt werden kann, gibt es bis heute nicht. Die einzige Strategie ist es, ein Endlager zu finden und die Abfälle zu vergraben. Aus den Augen, aus dem Sinn. Sollen nachkommende Generationen selber schauen, was sie damit machen. Verantwortung? Fehl am Platz.

Die Konsequenzen sind nicht absehbar. Niemand kann mit Sicherheit sagen, ob die Fässer und Castoren unter der Erde dicht bleiben werden in den kommenden Hundert, Tausend oder Zehntausend Jahren. Was ist, wenn die Fässer durchrosten und die giftigen radioaktiven Substanzen ins Grundwasser gelangen? Während einige Abfälle mehrere Hundert Jahre giftig bleiben, sind die Strahlen anderer Abfälle sogar noch in einer Million Jahren für Mensch und Tier gefährlich. Eine Million Jahre! Die Menschheit weiss gerade mal seit 10.000 Jahren wie man einen Acker bestellt und erst vor wenigen Jahrzehnten haben wir den Computer erfunden.

Mit dem Aufkommen von Atomkraftwerken seit Ende des Zweiten Weltkriegs hat der Mensch eine Technologie entwickelt, mit deren Hilfe in den vergangenen 70 Jahren zwar ein nie vorher dagewesenes Wirtschaftswachstum möglich wurde. Gleichzeitig merken wir heute, wohin dieses unaufhörliche Wachstum uns geführt hat. Klimakrise, Artensterben, Umweltkatastrophen und Ressourcenknappheit. Und atomare Abfälle als Supergau: Abälle, die womöglich noch hunderte oder tausende Generationen nach uns belasten werden.

Tschernobyl und Fukushima haben offenbar noch nicht wirklich zu einem Umdenken geführt. Muss sich wirklich zuerst in einem Land wie der Schweiz der Supergau ereignen? Bisher hatten wir einfach unglaubliches Glück, das es noch nicht passiert ist. Ob das so bleibt?

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