Essay: Wir müssen aufhören, wie Maschinen zu denken

Die Welt ist zunehmend ein Maschinenraum aus Algorithmen und technischen Prozessen, der uns Menschen entmenschlicht. Bild: phb
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Um die ökologischen Herausforderungen zu bewältigen, ist eine Veränderung unserer Denkweise nötig. Weniger Technologie, mehr Natur. Solange wir Menschen uns über Technologien definieren und uns von ihnen «benutzen» lassen, solange können wir die ökologische Krise nicht abwenden. Es wird Zeit, unseren Alltag nicht mehr nur von Technologien und Algorithmen bestimmen zu lassen, sondern uns wieder auf menschliche Fähigkeiten zu fokussieren. Ein Essay.

Während meines Urlaubs in Italien im vergangenen Monat, war ich jeden Tag in der Natur. Dort ein Fluss, hier ein Wald und da ein See. Die Tage bedeuteten für mich ein völliges Kontrastprogramm zu meinem Arbeitsalltag, bei dem ich täglich mehrere Stunden auf einen Bildschirm schaue und ich mich mit Informationen überfluten lasse, von denen schätzungsweise 90 Prozent überflüssig und irrelevant sind.

Ich hatte zwar mein Smartphone dabei, um auf Google Maps meine Rad-Route zu planen. Aber das wars dann auch schon. Mein Social Media- und Medienkonsum hat sich in den Ferien auf ein absolutes Minimum beschränkt. News-Konsum? Interessierte mich nicht wirklich. Höchstens, um gelegentlich die Entwicklungen um Covid-19 in Norditalien zu verfolgen.

Obwohl ich schon immer ein naturverbundener Mensch war, der auch regelmässig im Freien ist, habe ich gemerkt, wie disconnected zur Natur ich durch meine Arbeit geworden bin. Wahrscheinlich steht meine Feststellung stellvertretend für viele Menschen, vorallem für jene, die digital im Netz und ständig vor einem Bildschirm arbeiten.

Es wurde mir bewusst, wie fest uns Technologien im Alltag im Griff haben. Und ich habe vor allem bemerkt, dass ich auch spannende Tage ohne ständigiges Entsperren meines Smartphone verbringen kann. Laut mehreren Untersuchungen entsperren wir unser Smartphone täglich mehr als 80 Mal. Bei vielen Menschen dürften es sogar mehr als 100 Mal sein.

Neben dem Smartphone sitzen wir vor dem Computer, benutzen softwaregesteuerte Bankomaten, bestellen bei Mc Donald’s am Touchscreen oder bezahlen im Supermarkt an der Self-Scanning-Kasse.

Beängstigend wird es vor allem, wenn man bedenkt, dass unser Verhalten im Alltag immer mehr von Algorithmen bestimmt wird. Online-Shopping, Facebook-Likes, massgeschneiderte Werbung und immer so weiter…

Algorithmen sind derzeit schleichend aber stetig daran, unser Verhalten, Denken und Fühlen subtil zu verändern. Step by step. Tag um Tag. Es ist eine geistig-kognitive Manipulation, der wir uns freiwillig hingeben, ohne die Konsequenzen für uns selbst in der Zukunft zu bedenken.

Nur weil Mark Zuckerberg Facebook und Jack Dorsey, Noah Glass, Biz Stone sowie Evan Williams Twitter erfunden haben, heisst das noch lange nicht, dass wir diese Technologien auch bis an unser Lebensende so intensiv nutzen müssen.

Beängstigend wirkt es, wenn sogar die Erfinder solcher Netzwerke und Technologien vor den Gefahren einer exzessiven Nutzung warnen. So hat beispielsweise Justin Rosenstein, der Erfinder des Like-Buttons bei Facebook, in einem Interview gesagt, er habe auf seinem Smartphone eine Kindersicherungs-App installiert, die ihn daran hindere, unnötige Apps herunterzuladen, sowie seine Zeit auf sozialen Medien begrenze.

Sebst Apple-CEO Tim Cook sagte 2018 während einer Veranstaltung vor Studenten im englischen Essex, dass soziale Netzwerke, sowie die exzessive Nutzung von Technologien generell, für Kinder schädlich seien.

2011 wurde berichtet, dass Mitarbeiter von Tech-Firmen im Silicon Valley ihre Kinder auf separate Schulen schicken, auf denen die Nutzung von Smartphones oder sozialen Netzwerken verboten oder streng reglementiert sind.

Das Internet hat uns grosse Vorteile gebracht und die Welt ist dank ihm näher zuzammengerückt. Informationen sind einfach verfügbar und wir können über Kontinente hinweg kommunizieren. Ereignisse – egal wo auf der Welt – können synchron in Echtzeit mitverfolgt werden.

Diese grosse kommunikative Revolution des Internets in den vergangenen rund 30 Jahren, brachte neben Vorteilen aber auch Nachteile. Durch die Gleichzeitigkeit und Simultanität von Ereignissen, hat aber auch die Flut an Information exponentiell zugenommen.

Weil alles schneller und gleichzeitig erfassbar geworden ist, haben die Reflexion und das Nachdenken sowie die psychische Verarbeitung von Ereignissen abgenommen. Gerade Medienunternehmen sehen sich in der vermeintlichen Pflicht, auf Ereignisse sofort und unmittelbar zu reagieren. Breaking News, Notifications und Eilmeldungen tarnen oft Nichtigkeiten als Wichtigkeiten.

Wer sich wie ich im Urlaub für einige Zeit völlig von diesen schnellen Prozessen entkoppelt – Stichwort Digital Detox – bemerkt, wie bedeutungslos viele der täglichen Informationen tatsächlich für das eigene Leben sind.

Natürlich geht es nicht darum, den News-Konsum per se schlecht zu reden. Wir Menschen müssen informiert sein, um uns in unserer Welt zurecht zu finden. Aber es geht um die richtige Dosis an Information. Es geht um die Trennung von Relevanz und Irrelevanz. Wichtig versus unwichtig.

Gerade die Relevanz-Frage sollten sich vor allem Medienunternehmen stellen. Wollen sie wirklich so viel Irrelevantes publizieren, obwohl es spannendere und für die Zukunft der Menschen wichtigere Themen gibt?

Und es geht vorallem um die Frage: Wieviel Information kann ich als einzelner Mensch täglich verarbeiten? Wieviel Information will ich mir überhaupt zumuten, ohne dabei den Fokus auf mein eigenes Leben und mein familiäres Umfeld oder meinen Freundeskreis zu verlieren?

Das Maschinen-Denken der Effizienz des 19. Jahrhunderts

Diese Fragen sind auch entscheidend, wenn es um die Bewältigung der (globalen) sozialen und ökologischen Herausfordeungen in den kommenden Jahren geht. Dafür müssen wir als Gesellschaft unseren Fokus verschieben. Es braucht ein Umdenken, einen «Mindshift» in Richtung weniger Technologie, dafür aber mehr Natur bei einer gleichzeitig stärkeren Fokussierung auf Relevanz und Nachhaltigkeit.

Das Maschinen- und Technikdenken hat bereits im 19. Jahrhundert begonnen. Seit der Industrialisierung verstehen wir die Welt als Maschine. Beispielsweise stammt die Metapher, «wir bauen die Zukunft», aus dem Ingenieurswesen, wo gebaut, konstruiert, geplant und gestaltet wird. Das selbe gilt für den in Wirtschasftszusammenhängen oft gebrauchten Begriff der «Effizienz». Demnach sollen Menschen möglichst effizient arbeiten, so wie eine effiziente Maschine eben.

Als Gesellschaft sollten wir aber weniger aus Sicht von Maschinen denken, sondern vielmehr mehr aus Sicht der Natur und Ökosystemen. Dazu müssen wir uns einerseits von der Vorstellung verabschieden, mit neuen effizienteren Technologien unsere sozialen und ökologischen Probleme lösen zu können.

Technologien können uns helfen bei der Berechnung von Modellen und Vorhersagen möglicher Szenarien, bewältigen müssen wir die aktuellen Krisen aber als Menschen selber.

Effizienz im Spital bedeutet beispielsweise, dass die Pflegerin oder der Pfleger keine Zeit mehr haben, mit den Patienten zu reden und sie zu fragen, wie es ihnen geht. Effizienz heisst, dass der Postbote nach dem Klingeln nur noch ein paar Sekunden wartet bis wir ihm die Türe aufmachen. Lieber nimmt er das Paket wieder mit und klebt rasch einen Zettel an den Briefkasten, damit wir es selbst abholen können. Der Zeitdruck ist zu gross, als dass er oder sie noch ein paar Sekunden länger warten könnte, geschweige denn, mit uns noch ein Schwätzen abzuhalten.

Maximale Effizienz ist der Tod jeglicher Menschlichkeit

Es muss alles immer effizient zu und her gehen. Sonst kommen Angestellte im Dienstleistungs- oder Pflegebereich in Konflinkt mit dem Kosten- und Konkurrenzdruck.

Maximal effizient arbeiten Algorithmen im Netz oder in Computersystemen. In Lichtgeschwindigkeit teilen sie uns Menschen in Kategorien ein oder erfassen unsere persönlichen Daten. Effizienz bedeutet der Tod jeglicher Führsorglichkeit und Menschlichkeit. Effizienz ist lediglich auf die Logik von Gewinn und Leistungssteigerung ausgerichtet.

Als Mark Zuckerberg Facebook entwickelte, wollte er vielleicht zu Beginn tatsächlich mit guten Absichten lediglich seine Mitstudentinnen und Studenten miteinander vernetzen (oder doch eher seine männlichen Kollegen dazu bringen, Studentinnen auf Äusserlichkeiten zu reduzieren?).

Schon bald merkte er aber, dass er eine Effizienzmaschine erfunden hatte, mit der es möglich war, Daten über Milliarden von Menschen zu sammeln. Die ursprünglichen «sozialen Ideale» von Facebook wurden also rasch zugunsten einer effizienten Geldmaschine verraten.

Wir überlassen die Kontrolle zunehmend Maschinen

Mein Urlaub in Italien hat mir einmal mehr bewusst gemacht, dass wir Menschen zu fest von Technologien anhängig sind. Wir entfernen uns immer mehr von der Umwelt und vergessen dabei, dass auch wir Menschen letzlich nur Tiere sind. Tiere mit einem Hirn, das uns in die Zukunft denken und die Welt «bauen», «gestalten» und «kreieren» lässt.

Immer mehr überlassen wir die Kontrolle und das Denken über unsere Zukunft Maschinen und Algorithmen, nur um mit ihnen eine Effizienz- und Innovationssteigerung zu erreichen, die gleichzeitig durch Ressourcenverbrauch und Umweltschädigung die Lebensgrundlage – also unseren Planeten – zerstört. Auch die Kreativität überlassen wir zunehemnd Apps und Algorithmen, anstatt einfach mal selber mit einem Pinsel ein Bild zu malen.

Wir müssen als Gesellschaft umdenken. Wir müssen uns die Frage stellen: Wollen wir uns von Technologien benutzen lassen und ihnen das Denken und Fühlen überlassen, oder wollen wir uns wieder vermehrt auf die Natur beziehen und Technik als etwa Zweitrangiges, Unterstützendes verstehen?

Solange wir uns auf Maschinen/Algorithmen verlassen, wird sich unser Denken und Fühlen vermehrt den Maschinen angleichen. Wir verlernen, menschliche Fähigkeiten wie Empathie und Verantwortung, Führsorge und Mitgefühl. Gerade Empathie und Verantwortung sind in diesem Jahrhundert aber wichtiger denn je.

Digitaler Detox auf ärtzlich verordnetem Rezept?

Um diese Veränderungsprozesse zu verstehen, wäre es vielleicht vorteilhaft, wenn sich alle Menschen gelegentlich von Technologien entkoppeln könnten. Disconnect to Reconnect.

Wenn sich jeder Mensch mindestens einmal im Jahr einen Urlaub/eine Auszeit gönnen könnte, in der die Konfrontation mit und der Gebrauch von Technologien auf ein Minimum reduziert würden, könnte das zu einer verstärkten Rückbesinnung auf ökologische Systeme und die Natur führen. So wie ich das in meinem Urlaub erfahren habe. Warum nicht ein Digital Detox auf Rezept?

Wer Tag ein Tag aus nur noch auf einen Bildschirm starrt, vermeintlich wichtige Nachrichten konsumiert oder sich in Pseudo-Debatten auf Twitter verliert, verliert letztendlich auch den Bezug zur Natur und seinen Mitmenschen. Letzlich auch zu sich selbst.

Genau diese schleichende Entmenschlichung dürfen wir nicht zulassen. Wir müssen aufhören, wie Maschinen zu denken und zu handeln, sonst werden wir selber zu Maschinen.

Um die kommenden globalen Herausforderungen wie Klimaerwärmung, Artensterben oder soziale Ungleichkeit zu lösen, brauchen wir Menschen, die eine Welt für die Menschen neu denken wollen/können und keine wie Maschinen denkenden Menschen, die ihre Zukunft mit Hilfe von Maschinen und Algorithmen auf einem ökologisch toten Planeten «konstruieren».

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