Biogasanlagen, ein Potenzial für die Stromerzeugung in der Schweiz?

In Fermentern wie diesen werden organische Abfälle zu Strom verarbeitet. Die Abfälle werden bei Restaurants oder Landwirten meistens mit Lastwagen abgeholt. Symbolbild: phb
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Energieunternehmen werben oft mit «Biostrom» aus organischen Abfällen. Sogenannte Biogasanlagen sollen umweltfreundlicher sein als die konventionelle Stromerzeugung. Würde in der Schweiz das Potenzial von Biogas voll ausgeschöpft, könnte damit so viel Strom erzeugt werden, wie das mittlerweile stillgelegte AKW Mühleberg produziert hat. Unser Gastautor Marcel Höhener ist der Frage nach dem Potenzial von Biogasanlagen in der Schweiz nachgegangen.

Nahe der Autobahnausfahrt Wädenswil thront der Fermenter einer Biogasanlage auf einer Kuhweide, wo 35 Milchkühe beim Grasen freie Sicht auf den Zürichsee haben. Der Mist dieser Kühe sowie etliche Grüngut-, Kompost- und Speiseabfälle werden in dieser Biogasanlage zu Strom, Wärme und nährstoffreichem Dünger verwertet.

Eine Biogasanlage, wie sie die Gebrüder Kronauer in Wädenswil betreiben, bekommt man in der Schweiz leider noch viel zu selten zu Gesicht. Gemäss Biogasanlagenkarte von oekostromschweiz.ch sind es derzeit landesweit rund 110 landwirtschaftliche Anlagen. Das entspricht dem ausbaubaren Potenzial von drei bis höchstens neun Prozent. Dabei lösen landwirtschaftliche Biogasanlagen gleich mehrere Umweltprobleme auf einmal.

Eine Biogasanlage, der als Basis Gülle zugeführt wird, dient der Gemeinde als universale Öko-Entsorgungsstelle. Kompost der Einwohner, Speiseabfälle von Restaurants, Grasschnitt vom Fussballplatz oder Laubabfälle im Herbst. Aber auch Bioabfälle von Foodtechfirmen oder von Gemüsehändlern kommen allesamt in den «Magen» der Biogasanlage. Der organische Abfallmix, im Fachjargon Substrat genannt, wird in diesem «Magen», also im Fermenter vergoren.

Der Fermenter der Gebrüder Kronauer in Wädenswil, oberhalb des Zürichsees. Foto: mh

In einem anaeroben Klima wandeln Mikroorganismen bestimmte organische Stoffe bei einer konstanten Temperatur, je nach Anlage zwischen 35°C bis 45°C, in Biogas um. Diese bestehen zu rund 60 Prozent aus Methangas. Das Gas kann entweder gefiltert direkt als Treibstoff weiterverwendet oder in einem BHKW (Blockheizkraftwerk) zur Wärme und elektrischem Strom umgewandelt werden.

Nach dem Vergärungsprozess bleibt vom Hofdünger und den zugeführten Substraten als «Output» die sogenannte Gärgülle übrig. Gärgülle, auch Dünngülle genannt, ist als Dünger für die Nutzpflanzen biochemisch besser verfügbar – die Pflanzen gedeihen kräftiger und es gelangen weniger Schadstoffe als bei der Düngung mit herkömmlicher Gülle in die Umwelt.

In der «normalen» Gülle werden Nitrate, Ammoniak und Schwefelwasserstoffe auf die Wiese geführt. Die Schadstoffe gelangen bei unsachgemässer Anwendung nicht nur in die Pflanzen, sondern auch in die Fliessgewässer und schlussendlich ins Grundwasser. Die schleichende Zunahme der Verschmutzung von unserem Trinkwasser über verschiedenste Quellen hat, nebst der Qualitätseinbusse für den Menschen, vor allem einen negativen Einfluss auf den Fisch- und Wassertierbestand.

Gemäss Angaben des Schweizerischen Fischereiverbands ist der zu hohe Schadstoffgehalt im Wasser eine der Hauptursachen für das langsame Verschwinden von diversen heimischen Kleinstlebewesen, welche die Nahrungsgrundlage für Fische sind. Balthasar Glättli, Präsident der Grünen Schweiz, sagt, dass das Thema Biogas nicht nur aus energietechnischer Sicht betrachtet werden sollte: «Wenn Hofdünger den Weg durch die Biogasanlage macht, ist die Gülle für die Pflanzen verträglicher und es gelangen deutlich weniger Schadstoffe ins Wasser.»  

Die sogenannte Gärgülle ist dann nicht «nur» verträglicher für die Umwelt, sie stinkt vor allem nicht mehr. Für Anwohner eines Bauernhofs ist das wohl das wichtigste Argument. Ein weiteres Endprodukt, welches aus Gärgülle hergestellt werden kann, ist Gärmist oder Kompost. Beim Einsatz dieser Produkte können Profi- und Hobbygärtner Kunstdünger und Torferde ersetzen. Dies könnte in der Schweiz erfüllt werden, wenn ein Grossteil der Bauern eine Biogasanlage in ihren Betrieben integrieren würden.

Dass es immer noch verhältnismässig wenige Biogasanlagen in der Schweiz gibt, scheint am Mangel des politischen Willens zu scheitern, denn technologisch sind die Systeme längstens ausgereift.

Biogas: ausbaubares Potenzial

Deutschland nimmt in Europa eine Vorreiterrolle ein. Heute sind dort bereits gegen 10.000 Biogasanlagen in Betrieb, viele davon mit einer elektrischen Generatorleistung von bis zu 500kW. Nach dem beschlossenen Atomausstieg, noch unter Bundeskanzler Schröder, wurden in Deutschland die erneuerbaren Energien massiv gefördert.

Das ist grundsätzlich positiv. Aber aufgrund einer gesetzlichen Lücke führte dies im Biogassektor leider zu einer Fehlentwicklung. Es kamen Grossinvestoren, die Biogasanlagen nicht vorwiegend mit organischem Abfall füttern, sondern gezielt Land dazu pachten. So wurde beispielsweise in Monokulturen Mais nur angebaut, um die Stromproduktion aus Biogas vervielfachen zu können. Aufgrund rasant steigender Pachtpreise wurde den Bauern im wahrsten Sinne des Wortes der Boden unter den Füssen weggezogen.

Die daraus entstehende Verknappung von Lebensmitteln für Mensch und Tier wurde von der deutschen Bundesregierung jedoch erkannt und die Fehlentwicklung vor rund fünf Jahren korrigiert. Die Korrektur betrifft eine Änderung im EEG (Erneuerbare Energie Gesetz), in welchem nur noch Biogasanlagen staatlich unterstützt werden, die ausschliesslich der Verwertung organischer Abfälle dienen.

Deshalb werden heute zwar weniger neue Biogasanlagen gebaut, dafür ist die Qualität der ökologischen Verträglichkeit und damit der Anteil an CO2-neutralem Strom deutlich gestiegen. Deutschland produziert heute so viel Biogasstrom, dass damit beinahe die ganze Deutschschweiz rund um die Uhr versorgt werden könnte.

Stefan Mutzner, Vorsitzender der Geschäftsleitung von Ökostrom Schweiz (Fachverband landwirtschaftliches Biogas) sagt: «In der Landwirtschaft ist ein geschätztes Ausbaupotenzial für rund 1.100 mit Hofdünger (Gülle, Mist) und Ernterückständen betriebenen Biogasanlagen vorhanden. Diese Anlagen könnten etwa ein Drittel des Stroms des ehemaligen Kernkraftwerks Mühleberg produzieren.»

1.100 Anlagen schweizweit mit einer Ausgangsleistung von je rund 100 Kilowatt wären also problemlos möglich für grössere Bauernbetriebe. Würden auch kleinere Bauernbetriebe kleinere Anlagen mit weniger Leistung betreiben, könnte diese Zahl sogar vier- bis fünfmal höher liegen, also bei bis zu 5.000 Anlagen. Immerhin «produzieren» die rund 50.000 Bauernbetriebe in der Schweiz jährlich 23 Millionen Tonnen Tiermist.

Mit 5.000 Anlagen könnte die gleiche Strommenge erzeugt werden, wie das AKW Beznau produziert. Allerdings relativiert Stefan Mutzner diese optimistische Schätzung mit dem Argument, dass die Tiere «ihr Geschäft» ja oft auf den Weiden machten und somit tatsächlich weniger Gülle und Mist im Stall landen.

Weiter erklärt Mutzner, dass Bauern beim Bau einer Biogasanlage oft die Kooperation mit anderen Bauern suchten. Wenn sich mehrere Bauern eine Anlage teilen, schmälert das die Anzahl Anlagen ebenfalls. Weil aber auch andere Biogassysteme gefördert werden, ist die jährliche Leistung von Biogas von rund 3.000 GWh durchaus im realistischen Bereich. Das entspricht dem ehemaligen AKW Mühleberg, welches immerhin für fünf Prozent des Stromverbrauchs der Schweiz verantwortlich war.

Sind 24 Stunden in Betrieb. Riesige Fermenter wandeln die organischen Lebensmittelabfälle in Biogas und Rohkompost um. Bild: phb

Auf eine ähnliche Zahl kommt auch Balthasar Glättli. Er schätzt das Energiepotenzial aus Biogas sogar auf bis zu 3500 GWh, also rund sechs Prozent des gesamten Stromverbrauchs. Bis heute beläuft sich die Energiemenge durch Biogas gemessen am gesamten Stromverbrauch des Landes jedoch erst auf knapp zwei Promille.

Wenn ich von der Stadt St. Gallen mit dem Velo Tagestouren in den Thurgau oder das St. Galler Rheintal unternehme, fahre ich an Dutzenden von Bauernhöfen vorbei. Bis auf wenige – an einer Hand abzählbaren Biohöfe – geben alle Betriebe dasselbe Bild ab: Es sind Betriebe mit modernen, meist vom Bund finanzierten und überdimensionierten Riesentraktoren, mit stinkender Gülle und saftig grünen Wiesen. Was jedoch bei praktisch allen diesen Betrieben fehlt ist eine Biogasanlage.

Dabei könnten mit der durch die Anlagen produzierten Abwärme in der Schweiz im Winter rund 10.000 Einfamilienhäuser beheizt werden. In einem BHKW, welches bis zu 40 Prozent Strom produziert, entsteht fast 60 Prozent Abwärme. Mit dem Grossteil dieser Abwärme könnten problemlos mehrere Liegenschaften in der Umgebung beheizt werden.

In Biogas steckt also einiges Potenzial, das offensichtlich von der Politik noch nicht richtig erkannt wurde. Der Frage weshalb dieses Potenzial noch nicht erkannt worden ist, gehen wir im zweiten Teil in einer Woche nach.

Viele der in Biogas umgewandelten Lebensmittel wären eigentlich noch geniessbar.

Blockheizkraftwerke: Ein Motor (z.B. Schiffs- oder Lastwagenmotor), gekoppelt mit einem elektrischen Generator, der mit einem Wirkungsgrad von knapp 40% Strom erzeugt. Die Abwärme, welche z.B. beim Lastwagen grösstenteils an die Umwelt abgegeben wird, nutzt man beim BHWK zum Beheizen des Fermenters und umliegender Liegenschaften.

Biogasanlagen: landwirtschaftliche Biogasanlagen, vergären in einem anaeroben Prozess Tierexkremente und anfallende organische Abfälle, wie Grasschnittabfälle, Grüngut, Laub, Speiseabfälle, Foodindustrieabfälle etc., mittels Bakterien u.a. zu Methangas. Die Energie, die im Methangas steckt, wird in einem Blockheizkraftwerk für den Menschen zu nutzbaren elektrischen Strom und Heizenergie umgewandelt. Biogasanlagen sind dann 100% umweltfreundlich, wenn dafür ausschliesslich organische Abfälle und nicht auch noch essbare Lebensmittel mit vergärt werden. Zudem tragen sie zum Klimaschutz bei mit der Reduktion von Treibhausgasemissionen.


Gastautor:

Elektroingenieur Marcel Höhener ist Dozent für erneuerbare Energien an der HF Juventus. Er hält an der ZHAW für Umweltwissenschaften Wädenswil Vorlesungen über Stromerzeugung im Kleinen, insbesondere Kleinstwasserkraftwerke. Selber führt er ein Ingenieurbüro für Beratung in Energiefragen und plant und projektiert Kleinstwasserkraftwerke. quellfrosch.ch

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