Revolutionen: Wir befinden uns vielleicht im grössten Umbruch seit 10.000 Jahren

Die Welt befindet sich im Umbruch, vielleicht im grössten seit dem Ende der Steinzeit. Im Bild der Berliner Fernsehturm und die Franziskaner-Klosterkirche als Symbol für Veränderung. Foto: phb
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Die Menschheit hat schon einige Revolutionen und Umbrüche erlebt. Die Welt war danach jeweils eine völlig andere. Aktuell stecken wir wieder in einer Phase der grossen Transformation. Vielleicht befinden wir uns sogar in der grössten und radikalsten Umbruchphase seit 10.000 Jahren. Ob wir uns dessen bewusst sind?

Mit dem Begriff Revolution verbinden wir in der Regel politische Ereignisse wie beispielsweise die Französische Revolution 1789, die Oktoberrevolution 1917 in Russland oder die «friedliche» Revolution Ende der Achtzigerjahre als die Berliner Mauer fiel.

Solche politischen Revolutionen können grosse und langanhaltende Folgen haben. Das ist klar. Die Konsequenzen der Französischen Revolution mit ihrer neuen Verständnisweise von Staat und Bürger:innen spüren wir bis heute, auch die Folgen von 1989 sind bis heute spürbar.

Dennoch sind die genannten Revolutionen verhältnismässig bedeutungslos im Vergleich mit den übergeordneten Revolutionen. Es sind Revolutionen, die die Menschheit nicht nur auf einige Jahrzehnte oder vielleicht ein, zwei Jahrhunderte massgeblich prägen, sondern für möglicherweise Tausende von Jahren.

Die erste Revolution dieser Art war die Neolithische Revolution vor etwa 10.000 Jahren. Es war die Zeit, als die Menschen erstmals sesshaft wurden und sich von den Stammesgesellschaften der Jäger und Sammler verabschiedet haben. Die Neolithische Revolution hatte eine radikale Transformation in der Landwirtschaft zur Folge. Erstmals haben Menschen begonnen, Ackerbau zu betreiben und Natur sowie Umwelt nach ihren Vorstellungen zu verändern.

Die Auswirkungen der Neolithischen Revolution – effiziente Landwirtschaft oder die Erfindung des Rades – sind bis heute spürbar. Sie ist deshalb eine der tiefgreifendsten Veränderungen in der Menschheitsgeschichte. Ohne die Neolithische Revolution als Grundlage wäre unsere heutige hochkomplexe Gesellschaft nicht möglich geworden.

Die zweite grosse Revolution war die Erfindung der Schrift vor etwa 6.000 bis 3.000 Jahren. Erstmals war es möglich, mündliche Gedanken festzuhalten und nachkommenden Generationen zugänglich zu machen. Es war eine Revolution und Technik, die wir heute und wahrscheinlich auch noch in Tausenden Jahren anwenden werden.

Während die Neolithische Revolution und die Erfindung der Schriftzeichen mehrere Tausend Jahre zurück liegen, hat es in den vergangenen 500 Jahren innerhalb eines kurzen Zeitraums gleich mehrere Revolutionen gegeben, die bis heute und wahrscheinlich auch die kommenden Jahrtausende überdauern werden.

Dazu gehört die Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg vor rund 500 Jahren. Erstmals war es möglich, mit austauschbaren Blei-Lettern Gedanken nicht nur festzuhalten, sondern sie in grossen Mengen rasch zu vervielfältigen und relativ kostengünstig vielen Menschen zugänglich zu machen.

Eine weitere dramatische Transformation erlebte die Menschheit ab 1800 durch die Industrielle Revolution. Erstmals wurden Güter in grossen Mengen maschinell hergestellt und mit dem Kapitalismus auch die Effizienz des Geldflusses neu organisiert. Während die Neolithische Revolution die Grundlage für Zivilisation, Gesellschaft und Kultur war, bedeutete die Industrielle Revolution die Basis für die Globalisierung und hyperkomplexe Gesellschaftsordnung.

Wir heute lebendenden Menschen erfahren mit dem Internet und der Klimaerhitzung gleich zwei weitere radikale transformative Revolutionen innerhalb einer Generation. Der kommerzielle Durchbruch des Internets hat gesellschaftliche Prozesse auf der ganzen Welt seit den 1990er-Jahren exponentiell beschleunigt. Trotz Erfindung des Telefons im 19. Jahrhundert und des Fernsehens im 20. Jahrhundert war die analoge Welt vor dem Internet vergleichsweise gemächlich.

Das Internet ist die erste Technologie der Menschheit, die in der Dimension mit der Erfindung der Schrift und des Buchdrucks vergleichbar ist, weil sie unser Denken und Fühlen radikal verändert. Das Internet stellt auch unsere Arbeitsweise und unser soziales Verhältnis untereinander und das Zeitempfinden in Frage.

Parallel zum technologischen Bruch des Internets – der viel zitierten sogenannten «Digitalisierung» – ereignet sich die Klimakrise, deren Auswirkungen die Menschheit ebenfalls noch in Tausenden Jahren spüren dürfte. Zumindest werden die Folgen spürbar bleiben, wenn wir jetzt nicht entsprechend handeln. 

Unsere Generation hat die einmalige Chance, die Welt jetzt radikal zu verändern. Sozial wie ökologisch. Die Herausforderungen sind enorm und nicht leicht, gerade weil es an allen Ecken und Enden brennt. Klima, Artenvielfalt, soziale Ungleichheit, Demokratieverlust oder Ernährungssicherheit um nur einige Beispiele zu nennen.

Frühere Revolutionen waren Ereignisse, die oft über Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende abgelaufen sind. Die Menschen haben in der Regel selbst gar nicht begriffen, dass sie sich in einem Prozess des Übergangs befanden. Die Agrarrevolution nach dem Neolithikum war eine Entwicklung über mehrere Tausend Jahre und damit ein eher unbewusstes Projekt über mehrere Hundert Generationen. Auch die gesellschaftlichen Folgen des Buchdrucks waren erst im 19. und vor allem 20. Jahrhundert spürbar. Gutenberg war es nicht bewusst, was der mit seiner Erfindung in Gang gesetzt hatte.

Die früheren Menschen hatten keine oder viel weniger wissenschaftliche Erkenntnisse über die Folgen ihres Tuns. Im 21. Jahrhundert wissen wir, welche Folgen es haben wird, wenn wir nichts gegen die Klimaerhitzung oder die globale Umweltzerstörung unternehmen. Und gerade weil wir es wissen, ist es unsere Pflicht zu handeln. Handlung soll als Revolution begriffen werden, als einmalige Chance und Möglichkeit unserer Generation, die Zukunft auf längere Zeit aktiv zu gestalten. Das bedeutet eine Zukunft ohne fossile Brennstoffe. Eine Zukunft mit einem menschenfreundlichen Wirtschaftssystem. Eine Zukunft mit mehr sozialer Gleichheit und Teilhabe als Ungleichheit und so weiter.

Wir befinden uns in der wahrscheinlich zweitgrössten Umbruchphase nach der Neolithischen Revolution. Alles was jetzt passiert oder nicht passiert, wird Folgen auf Hunderte oder Tausende Jahre haben. Diese Möglichkeit sollten wir nutzen, damit die Menschen der Zukunft nicht irgendwann sagen werden: Wir hätten es verschlafen, die Zukunft der Menschheit zu gestalten, weil wir uns nicht bewusst gewesen seien, dass wir uns in einer Revolution gigantischem Aussmasses befunden hätten. Oder anders gesagt: Wir haben zwar das Internet erfunden, aber den Planeten nicht retten können. Aus der fernen Zukunft betrachtet, eine «rückständige» Gesellschaft diese Menschen des frühen 21. Jahrhunderts. 


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